Social Design
Kreativität und Partizipation
von Sarah Dorkenwald
Den Beginn des Social Designs könnte man mit William Morris und John Ruskin einleiten, den Gründern der Arts and Crafts Bewegung Mitte des 19. Jahrhunderts, die als Gegenbewegung zur Industrialisierung bezeichnet wird. Schon damals galten die beiden als Vertreter eines sozial verantwortlichen Gestaltens und Produzierens. Das Wohlergehen der Arbeitenden im Blick, war ihr Ansatz aber vor allem eine Rückbesinnung auf das Handwerk als Gegenpol zur maschinellen Herstellung oftmals minderwertiger Waren und der damit einhergehenden Ausbeutung der Arbeitskraft.
Auch heute ließe sich wahrscheinlich ein Teil unserer sogenannten ‚wicked problems‘ lösen, würden wir uns auf tradierte Formen des Konsumierens und Herstellens rückbesinnen, wie das Selbermachen, das Reparieren, das Umfunktionieren und Wiederverwerten, das Tauschen oder gar das Verzichten auf die Dinge, die wir nicht unbedingt zum Leben brauchen. Aber die Zusammenhänge, Widerstände und Herausforderungen unserer bestehenden Systeme sind komplex und erschweren Veränderungen. Der von Horst Rittel in den 1960er Jahren geprägte Begriff der „wicked problems“, beschreibt genau diese Ohnmacht im Dickicht sich gegenseitig bedingender Faktoren Alternativen zu finden, die keinen negativen Effekt haben und einen Systemwandel vorantreiben.
Design for the real world?
Die Idee des unbegrenzten Wachstums ohne Rücksicht auf sozialen Ausgleich oder den Erhalt einer ökologischen Vielfalt stößt zunehmend an ihre Grenzen. Auch das Design bleibt dabei nicht unbescholten, war es doch bisher oft auch dessen Aufgabe genau diese Anforderungen in der Produkt- und Markenentwicklung zu ermöglichen und sich als Wirtschaftsfaktor per se zu positionieren. Schon 1971 provozierte der Designer Victor Papanek in seinem bekannten Buch ‚Design for the real world. Anleitung für eine humane Ökologie und sozialen Wandel’ mit seiner Aussage, dass es nicht viele Berufe gäbe, die mehr Schaden anrichteten als das Design. Die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Aspekte stellte er gleichwertig neben wirtschaftliche Faktoren im Gestaltungsprozess. Daraus hat sich über die Jahrzehnte hinweg ein erweitertes Designverständnis entwickelt, das dem Design neue Aufgaben und transformative Kräfte zuschreibt und mittlerweile fester Bestandteil des Designdiskurses und der Designlehre sind.
Die Potenziale des Designs sind noch nicht ausgeschöpft
In der Designpraxis scheinen aber Modelle und Denkmuster einer Wachstumsökonomie basierten Produktwelt weiterhin vorrangig. Die Potenziale des Designs, mit dessen Methoden und Werkzeugen neue Wege gegangen werden könnten und neben technischen auch soziale und ökologische Innovationen ermöglicht würden, werden noch nicht ausgeschöpft. Genau hier liegen die Potenziale von Social Design.
Social Design hat sich die Gestaltung einer nachhaltigen, sozialen, demokratischen und partizipativen Umwelt zur Aufgabe gemacht hat und sollte fester Bestandteil von Innovations- und Gestaltungsprozessen werden, um eine Transformation unserer Gesellschaft im positiven Sinne voranzutreiben. Iterative Prozesse, Designmethoden, die Perspektivwechsel ermöglichen, das Einbeziehen unterschiedlicher Interessengruppen und das Eruieren wesentlicher Bedürfnisse helfen, Lebensräume und Produkte so zu gestalten, dass sie inklusiv und barrierefrei sind und das Gemeinwohl Aller im Blick haben. Empowerment, Bottom-up und Teilhabe sind dabei großgeschrieben. Open Source Design, Do-it-yourself Strategien, Design Thinking, Radical Design, Design Activism sind nur einige der Bewegungen, die man einem Social Design zuschreiben kann.
Soziale Stadtraumgestaltung durch Kreativität und Partizipation
In diesem Sinne hat auch die EU-Kommission unter der Leitung von Ursula von der Leyen 2021 die Initiative „Neues Europäisches Bauhaus“ ins Leben gerufen. Im Zusammenschluss von Design, Kunst und Architektur mit Wissenschaft, Forschung und Entwicklung sowie Wirtschaft und Gesellschaft wurde ein transdisziplinärer Prozess in Gang gesetzt, welcher, geleitet von Werten der Nachhaltigkeit, Inklusion und Ästhetik, eine grundlegende Transformation unserer Lebens‑, Arbeits- und Konsumweisen hin zu einer inklusiveren, nachhaltigeren und lebenswerteren, zum Ziel hat.
Eines der EU-geförderten Projekte ist „Creating NEBourhoods Together – Neuperlach“ bei dem Akteur:innen aus der Münchner Kunst, Kultur- und Kreativwirtschaft helfen sollen, die Satellitenstadt aus den 1960er Jahren, mithilfe co-kreativer Herangehensweisen bürgernäher, sozialer und qualitätsvoller zu gestalten. Dabei muss man sich sicher grundsätzliche Fragen stellen z.B. wie wir Stadt zukünftig begreifen wollen, wie wir Vergangenheit und Zukunft sinnvoll verschränken, wie sich Stadtraum anfühlen und verändern soll, was er erfüllen kann und wie sich diese Zukunft aktiv gestalten lässt. Es geht weniger darum Probleme zu lösen, als vielmehr Aneignungsprozesse zu initiieren, die den Akteur:innen helfen, mit den Umständen umzugehen und Stadt und ihre Dynamik aber auch ihre Möglichkeiten zu erkennen, zu begreifen und zu nutzen.
Social Design als wirtschaftliches Modell
Welche soziale Kraft Kreativschaffende fördern können und wie sich daraus Erwerbsperspektiven auftun, zeigen unter anderem die Stadtteilprojekte des britischen Kollektivs Assemble. Mit dem Projekt „Granby Workshop“ wurden in der Granby Street, einem Stadtviertel von Liverpool, heruntergekommene, leerstehende Häuser gemeinschaftlich renoviert und bewohnbar gemacht. Die mit den Bürger:innen in Workshops gemeinsam erdachten Produktideen führten zu neuen Produktionsverfahren, bei den vornehmlich Altmaterialien der Hausruinen recycelt wurden und neue, formschöne Designobjekte entstanden. Daraus gründeten sich Werkstätten und ein Laden, was neue Beschäftigungsperspektiven für die Anwohner:innen bot. Das Kollektiv Assemble erhielt 2015 für seine Arbeit den hochdotierten Turner Prize.
Ein weiteres erfolgreiches Vorzeigeprojekt sozialen Designs und Wirtschaftens war CUCULA , gegründet von Sebastian Däschle, Jessy Medernach und Corinna Sy, die mit Geflüchteten Holzmöbel nach den Entwürfen Enzo Maris entwarfen, bauten und vertrieben und so eine Lebensgrundlage für die Geflüchteten schufen. Das 1974 erschienene Buch ‚Autoprogettazione‘ des italienischen Designers vereinte einfache Bauanleitungen für 19 Möbelentwürfe wie Holztische, ‑stühle, ‑regale und ‑betten. Er öffnete damit Gestaltungsprozesse für Nicht-Designer:innen und beeinflusste maßgeblich die Do-it-yourself Bewegung. Den Werkstattbetrieb hat CUCULA 2018 eingestellt.
Do-it-together
Auch das Berliner Kollektiv raumlaborberlin befasst sich seit 1999 diskursiv, experimentell und partizipativ mit urbanen und öffentlichen Stadträumen. Vornehmlich Architekt:innen begannen, die Möglichkeiten ihrer Disziplin an den Schnittstellen zur Stadtplanung, Aktionskunst, Design und räumlicher Intervention neu zu denken. Bis heute arbeiten sie in immer wieder unterschiedlichen Konstellationen zusammen.
Gemeinsam haben sie unzählige Projekte weltweit umgesetzt und sind schon so lange dabei, dass Kommunen und Städte sie jetzt nach ihren Methoden fragen, um dem Ziel einer integrativen und nachhaltigen Stadtplanung näher zu kommen. Dabei öffnen sie die gestalterischen und gesellschaftlichen Prozesse, die ihre Projekte kennzeichnen und hinterfragen und erweitern nicht nur die eigene Disziplin, sondern leisten einen wichtigen Beitrag an der Transformation des öffentlichen Raums hin zu bürgernahen, teilhabenden und gemeinwohlorientierten Orten der Begegnung.
Oft besetzen sie hierfür nicht beachtete oder schon aufgegebene städtische Zwischenräume, die durch ihre künstlerischen Installationen erst sichtbar werden und ihr Potenzial entfalten. Als experimentelle Bühnen des Dialogs und Ausprobierens werden dort gemeinsam Workshops abgehalten, es wird produziert, gekocht, gewohnt, diskutiert und sowohl Ideen als auch Wissen nicht nur ausgetauscht, sondern auch angewendet. Diese Raumlabore oder auch Produktionsstätten und Experimentierfelder eröffnen neue Perspektiven, aktivieren ungenutzte Möglichkeiten und inspirieren dazu, alternative Nutzungsmuster zu erdenken.
Design für die große Transformation
Im April und Juni 2022 fand im X‑D-E-P-O‑T der Neuen Sammlung die Workshopreihe „Design für die Große Transformation – heute morgen übermorgen“ statt, ausgelobt von der in München ansässigen Hans Sauer Stiftung, bei der verschiedene Themenfelder wie Social Design, Transformative Städte, Circular Design und Sozialraumgestaltung betrachtet wurden. Die Stiftung möchte mit seinem Hans Sauer Preis und dem Social Design Lab gesellschaftlich relevante Projekte sowie verantwortungsbewusstes Denken und Handelns fördern.
Barbara Lersch, die zusammen mit der Direktorin der Neuen Sammlung Angelika Nollert die Workshopreihe kuratierte, kommentierte: „Spannend war zu erleben, wie Designer:innen und Nicht-Designer_innen während der Workshops in interessante und komplexe Diskussionen vertieft waren. Die Workshopreihe zeigte eindrucksvoll, das Social Design ein universelles Thema ist und uns alle betrifft. Jeder ist Expert:in und vor allem auch Gestalter:in von und für gesellschaftliche Prozesse. Diese Potenziale sollten wir nutzen, um unsere Gesellschaft nachhaltig zu transformieren und zukunftsfähig zu gestalten.“
Weitere Workshops sind im Sommer und Herbst 2023 geplant, es gibt aber noch keine festen Termine. Unter den Links https://socialdesign.de/toolkits/ und https://socialdesign.de/buecher/ findet sich eine wunderbare Sammlung an Werkzeugen, Methoden und Publikationen zu dem Thema.
Auch Unternehmen müssen sich progressiv diesen Aufgaben stellen und frühzeitig ethische, ökologische und interkulturelle Fragestellungen in ihren Innovationsprozessen integrieren, um zukunftsfähig zu bleiben. Es ist nicht nur eine bereichernde Aufgabe für Designer:innen an diesen Prozessen maßgeblich mitzuwirken, sondern eröffnet auch Unternehmen neue Formen des Wirtschaftens, wenn sie ihr Handeln ganz im Sinne des Social Designs an Partizipation, Gemeinwohl, Nachhaltigkeit und Demokratie ausrichten
Zitierempfehlung: Sarah Dorkenwald (27.01.2023): Social Design. Kreativität und Partizipation https://bayern-design.de/beitrag/social-design/
Die diplomierte (Univ) Designerin Sarah Dorkenwald praktiziert in ihrer gestalterischen wie theoretischen Arbeit eine kritische Designhaltung. Im Austausch mit anderen Disziplinen hinterfragt sie gängige Herangehensweisen und gesellschaftliche Konventionen und möchte mit aktuellen Positionen im Design Alternativen im Umgang mit Ressourcen, Produktion und Verteilung sowie des Zusammenlebens aufzeigen. Sie ist Professorin an der Hochschule für Kommunikation und Gestaltung in Ulm. Zusammen mit der Designtheoretikerin Karianne Fogelberg hat Sarah Dorkenwald das Münchner Studio UnDesignUnit gegründet. Sie vereinen Kompetenzen und Methoden aus dem Design und der Designtheorie und arbeiten an der Schnittstelle zu anderen Disziplinen und Wissensformen. Sarah Dorkenwald schreibt regelmäßig für Designzeitschriften sowie Fachpublikationen.