16. Oktober 2023

Design und künst­li­che Intelligenz

Wird KI zum krea­ti­ven Komplizen?

von Sarah Dorkenwald

Die Nut­zung Künst­li­cher Intel­li­genz (KI) scheint sich als ein fes­ter Bestand­teil krea­ti­ver Pro­zes­se zu eta­blie­ren. Die Ange­bo­te und Mög­lich­kei­ten von KI gesteu­er­ten Pro­gram­men wer­den zuneh­mend viel­fäl­ti­ger, dif­fe­ren­zier­ter und leich­ter zugäng­lich. Sie haben sich auf ver­schie­de­ne Anwen­dungs­be­rei­che wie Spra­che, Sound, Bewegt­bil­der, Emo­tio­nen oder das Gene­rie­ren von Bild­wel­ten spe­zia­li­siert. Als digi­ta­le Werk­zeu­ge beschleu­ni­gen sie Arbeits­ab­läu­fe, über­neh­men Rou­ti­ne­auf­ga­ben, stel­len Wis­sen zur Ver­fü­gung, wer­ten es aus, pro­gnos­ti­zie­ren und tra­gen zur Ideen­fin­dung und Inspi­ra­ti­on bei.

Die ver­mehr­te Anwen­dung sol­cher maschi­nell ler­nen­den Sys­te­me ver­än­dert die Her­an­ge­hens­wei­se im Design signi­fi­kant und wirft zahl­rei­che Fra­gen auf, die sowohl die Design­pra­xis als auch die Design­theo­rie wei­ter­füh­rend erfor­schen soll­ten. Zu unter­su­chen ist, wie die digi­ta­len Werk­zeu­ge im Pro­zess ein­ge­bun­den wer­den und wel­che neu­en Gestal­tungs­me­tho­den und Auf­ga­ben­be­rei­che sich dar­aus ent­wi­ckeln. Wie ver­än­dern sich gän­gi­ge gestal­te­ri­sche Stan­dards und Ästhe­ti­ken? Und wer­den die­se durch den Ein­fluss intel­li­gen­ter Sys­te­me kom­ple­xer oder gleich­för­mi­ger? Neben Fra­gen, die den Gestal­tungs­pro­zess selbst betref­fen, stellt sich eben­so die Fra­ge nach der Rol­le der Krea­ti­vi­tät – wird die KI zukünf­tig krea­ti­ver Kom­pli­ze? Und nicht zuletzt: Wer trifft am Ende die Ent­schei­dun­gen, und inwie­fern wer­den die­se von Algo­rith­men beein­flusst, je nach­dem, wel­ches Wer­te­sys­tem und wel­che Daten zugrun­de gelegt wurden?

KI als Gestaltungswerkzeug

Die Publi­ka­ti­on ‚Design und künst­li­che Intel­li­genz. Theo­re­ti­sche und prak­ti­sche Grund­la­gen der Gestal­tung mit maschi­nell ler­nen­den Sys­te­men ‘ von Marc Engen­hart und Sebas­ti­an Löwe befasst sich dezi­diert mit den Mög­lich­kei­ten der künst­li­chen Intel­li­genz als Werk­zeug und Inspi­ra­ti­on im Design und bie­tet ein fun­dier­tes Grund­la­gen­werk. Dabei beto­nen die bei­den Autoren die Not­wen­dig­keit für Designer:innen sich mit künst­li­cher Intel­li­genz als Design­tool zu befas­sen, um deren vol­les Poten­zi­al auszuschöpfen.

Gestal­tungs­werk­zeu­ge stan­den schon immer zur Ver­fü­gung und haben sich im Lau­fe der Zeit auf­grund neu­er tech­no­lo­gi­scher Mög­lich­kei­ten ver­än­dert. Auch der Com­pu­ter war ein Hilfs­mit­tel, um schnel­ler, effek­ti­ver und prä­zi­ser zu gestal­ten. Er setz­te aber auch Krea­ti­vi­tät frei und bot Designer:innen Raum für Expe­ri­men­te und das Erpro­ben neu­er for­mal-ästhe­ti­scher Aus­drucks­for­men. Somit haben sich die Fähig­kei­ten und Auf­ga­ben­be­rei­che der Gestalter:innen erwei­tert und wur­den nicht, wie befürch­tet, durch den Com­pu­ter ersetzt.

Die Wir­kungs­wei­se von intel­li­gen­ten Systemen 

Für Engen­hart und Löwe unter­schei­den sich intel­li­gen­te Werk­zeu­ge von ande­ren digi­ta­len Werk­zeu­gen dadurch, dass sie auf sta­tis­ti­schen Lern­ver­fah­ren basie­ren und somit die Fähig­keit besit­zen Vor­her­sa­gen zu tref­fen, die unmit­tel­ba­ren Ein­fluss auf die Mit­tel der Gestal­tung als auch die Erleb­nis­se der Nutzer:innen haben. 1 Gera­de im Bereich User Expe­ri­ence, wo es um nut­zer­zen­trier­te digi­ta­le Lösun­gen für tat­säch­lich vor­han­de­ne Bedürf­nis­se geht, benö­ti­gen Designer:innen ein grund­le­gen­des Ver­ständ­nis der Wir­kungs­wei­se und Anwen­dungs­mög­lich­kei­ten künst­lich-intel­li­gen­ter Sys­te­me. Nur so kön­nen Inno­va­ti­ons­po­ten­zia­le aus­ge­schöpft und auch die Wirk­macht sol­cher auf Daten basie­ren­der Sys­te­me durch­schaut wer­den. Eine mög­li­che Vor­ein­ge­nom­men­heit künst­li­cher Sys­te­me, die Vor­ur­tei­le oder Dis­kri­mi­nie­rung begüns­ti­gen kann, muss nicht zwin­gend eine aktiv ange­streb­te Ver­zer­rung sein, son­dern hängt unter ande­rem von der Exper­ti­se der­je­ni­gen ab, die die­se Sys­te­me auf­set­zen und trai­nie­ren. Hin­zu kommt, dass Daten­sät­ze oft­mals nicht aus­ge­wo­gen erho­ben wer­den und die Wirk­lich­keit ein­sei­tig reprä­sen­tiert wird. (2)

Co-Crea­ti­on mit intel­li­gen­ten Systemen

Engen­hart und Löwe haben die Zusam­men­ar­beit von Designer:innen mit KI-Sys­te­men in allen Pha­sen des Design­pro­zes­ses unter­sucht. Für sie ver­deut­licht sich, dass Designer:innen die intel­li­gen­ten Werk­zeu­ge anpas­sen und gestal­ten müs­sen, um über­zeu­gen­de indi­vi­du­el­le Design­lö­sun­gen zu erzie­len. Es erfor­dert mensch­li­che Intel­li­genz, die Ergeb­nis­se maschi­nel­ler Sys­te­me zu bewer­ten, zu reflek­tie­ren und sinn­voll in den Design­pro­zess ein­zu­bin­den. Gleich­zei­tig kön­nen maschi­nell ler­nen­de Sys­te­me Infor­ma­tio­nen lie­fern, die Designer:innen allein nicht ver­füg­bar wären. Dies führt zu einer Ver­bes­se­rung der Ergeb­nis­qua­li­tät, da sie auf dem Wis­sen sowohl der Maschi­ne als auch des Men­schen basiert. Die­se Zusam­men­ar­beit kann als co-krea­ti­ver Pro­zess betrach­tet wer­den, bei dem Designer:innen und Sys­te­me sowohl Leh­ren­de als auch Ler­nen­de sind. (3)

Neue Design-Kom­pe­ten­zen

Designer:innen benö­ti­gen heut­zu­ta­ge sowohl ana­ly­ti­sche als auch krea­ti­ve Fähig­kei­ten. Sie müs­sen in der Lage sein, mit neu­en Tech­no­lo­gien umzu­ge­hen und soll­ten ein tie­fes empa­thi­sches Wis­sen ihrer Ziel­grup­pen haben. (4) Im Zusam­men­spiel mit intel­li­gen­ten Sys­te­men wer­den man­che Kom­pe­ten­zen weni­ger wich­tig oder ersetzt, ande­re wie­der­um wer­den um so bedeut­sa­mer, neue kom­men hin­zu. Zum Bei­spiel kön­nen in allen Pha­sen des Design­pro­zes­ses wie­der­keh­ren­de und zeit­auf­wen­di­ge Arbeits­schrit­te wie das Kon­ver­tie­ren von Daten, das Recher­chie­ren von Bil­dern, das Erstel­len von Mood­boards, Per­so­na-Pro­fi­len oder Ent­wurfs­va­ri­an­ten auto­ma­ti­siert wer­den, was die Arbeit ins­ge­samt erleich­tert, wenn die Ergeb­nis­se der KI eine hohe Desi­gn­qua­li­tät auf­wei­sen. (5)

Gleich­zei­tig wer­den auch neue Fähig­kei­ten ver­langt. Es benö­tigt nicht nur ein tie­fes Ver­ständ­nis über Nutzer:innenbedürfnisse, son­dern auch die Skills die­se Erkennt­nis­se in intel­li­gen­te Sys­te­me so zu über­füh­ren, dass sie ent­spre­chend berück­sich­tigt wer­den. Engen­hart und Löwe spre­chen von soge­nann­ten kogni­ti­ven Feed­back­loops im Design­pro­zess, die auch als Tri­ple-Loop bezeich­net wer­den. (6) Dies ist ein Theo­rie­mo­dell, das den Refle­xi­ons­pro­zess im Design in drei Schrit­te zer­legt, wobei der drit­te Feed­back­loop auf­grund des Arbei­tens mit ler­nen­den Sys­te­men neu hin­zu­kommt. Designer:innen müs­sen nun nicht nur ihre eige­nen Ziel­vor­stel­lun­gen anhand von Arte­fak­ten oder Gestal­tungs­theo­rien im ite­ra­ti­ven Vor­ge­hen abglei­chen, son­dern auch die Ziel­vor­stel­lun­gen und Denk­mus­ter daten­ba­sier­ter Sys­te­me erfas­sen und alle Ebe­nen sinn­voll und kri­tisch zusam­men­brin­gen. Hier­für braucht es eben­falls ein grund­le­gen­des Ver­ständ­nis von intel­li­gen­ten Werk­zeu­gen. (7)

Kon­se­quen­zen für das Design

Intel­li­gen­te Maschi­nen kön­nen mensch­li­che Ges­ten, Mimik, Spra­che, Hand­lun­gen, Gefüh­le und sogar Geschmacks­prä­fe­ren­zen genau ana­ly­sie­ren und Vor­her­sa­gen über zukünf­ti­ge Vor­ha­ben, Bewe­gun­gen, Hand­lun­gen, Ereig­nis­se, Geschmä­cker und Emo­tio­nen tref­fen. Hier­zu erler­nen sie auch abs­trak­te Regeln von poli­ti­schen, sozia­len, wirt­schaft­li­chen und vir­tu­el­len Sys­te­men und schlie­ßen aus gro­ßen Daten­men­gen auf neue sta­tis­ti­sche Zusam­men­hän­ge. Wenn die­se Pro­gno­sen, die von intel­li­gen­ten Sys­te­men getrof­fen wer­den, eine domi­nie­ren­de Rol­le im Design­pro­zess ein­neh­men, hat dies erheb­li­che Aus­wir­kun­gen nicht nur auf die Grund­prin­zi­pi­en und Arbeits­wei­sen im Design, son­dern auch auf die gestal­te­ten Pro­duk­te. Design ist nun nicht mehr nur ein ein­zig­ar­ti­ger Ent­wurf aus der Feder der Designer:innen, son­dern Design ent­steht nun qua­si auto­ma­tisch im Moment der Nut­zung. Die­ses äußerst per­so­na­li­sier­te Nut­zer­er­leb­nis ver­wischt die Gren­zen zwi­schen Nut­zung und Gestal­tung und wirft ethi­sche Fra­gen zur gestal­te­ri­schen Ver­ant­wor­tung, zur Inklu­si­on und zum Schutz der Nutzer:innen auf.

Abschlie­ßend lässt sich sagen, dass ein Nut­zen von intel­li­gen­ten Sys­te­men auch eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit die­sen ver­langt. Ansät­ze aus dem kri­ti­schen und spe­ku­la­ti­ven Design, wie kri­ti­sche For­men des Expe­ri­ments, gesell­schaft­lich-tech­no­lo­gi­sche Gegen­ent­wür­fe oder Impul­se aus der DIY-Kul­tur, die Gestalter:innen, Nutzer:innen und eine brei­te Gesell­schaft ein­be­zie­hen, kön­nen die kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung, Ein­mi­schung und Auf­klä­rung und somit auch Wei­ter­ent­wick­lung von intel­li­gen­ten Sys­te­men för­dern. (8)

Portrait Sarah Dorkenwald (Foto: Anna Seibel)
Sarah Dor­ken­wald (Foto: Anna Seibel)

Die diplo­mier­te (Univ.) Desi­gne­rin Sarah Dor­ken­wald prak­ti­ziert in ihrer gestal­te­ri­schen wie theo­re­ti­schen Arbeit eine kri­ti­sche Design­hal­tung. Im Aus­tausch mit ande­ren Dis­zi­pli­nen hin­ter­fragt sie gän­gi­ge Her­an­ge­hens­wei­sen und gesell­schaft­li­che Kon­ven­tio­nen und möch­te mit aktu­el­len Posi­tio­nen im Design Alter­na­ti­ven im Umgang mit Res­sour­cen, Pro­duk­ti­on und Ver­tei­lung sowie des Zusam­men­le­bens auf­zei­gen. Sie ist Pro­fes­so­rin an der Hoch­schu­le für Kom­mu­ni­ka­ti­on und Gestal­tung in Ulm. Zusam­men mit der Design­theo­re­ti­ke­rin Kari­an­ne Fogel­berg hat Sarah Dor­ken­wald das Münch­ner Stu­dio UnDe­sign­U­nit gegrün­det. Sie ver­ei­nen Kom­pe­ten­zen und Metho­den aus dem Design und der Design­theo­rie und arbei­ten an der Schnitt­stel­le zu ande­ren Dis­zi­pli­nen und Wis­sens­for­men. Sarah Dor­ken­wald schreibt regel­mä­ßig für Design­zeit­schrif­ten sowie Fachpublikationen.

1 | Engen­hart, Marc/Löwe, Sebas­ti­an „Design und künst­li­che Intel­li­genz. Theo­re­ti­sche und prak­ti­sche Grund­la­gen der Gestal­tung mit maschi­nell ler­nen­den Sys­te­men“, Basel, Birk­häu­ser Ver­lag, 2022, S. 17

2 | eben­so, S. 50

3 | Eben­so, S. 83

4 | Godau, Mari­on: „Design-Kom­pe­tenz“, in Erl­hoff, Michael/Marshall, Tim (Hrsg.): Wör­ter­buch Design. Begriff­li­che Per­spek­ti­ven des Design, Basel Birk­häu­ser Ver­lag, 2008, S. 94

5 | Engen­hart, Marc/Löwe, Sebas­ti­an „Design und künst­li­che Intel­li­genz. Theo­re­ti­sche und prak­ti­sche Grund­la­gen der Gestal­tung mit maschi­nell ler­nen­den Sys­te­men“, Basel, Birk­häu­ser Ver­lag, 2022, S. 170

6 | Sei­del, Stefan/Berente, Nicholas/Lindberg, Aron at al.: „Auto­no­mous Tools and Design. A Tri­ple-Loop Approach to Human-Machi­ne Lear­ning”, https://cacm.acm.org/magazines/2019/1/233528-autonomous-tools-and-design/fulltext (10.10.2023)

7 |Engen­hart, Marc/Löwe, Sebas­ti­an „Design und künst­li­che Intel­li­genz. Theo­re­ti­sche und prak­ti­sche Grund­la­gen der Gestal­tung mit maschi­nell ler­nen­den Sys­te­men“, Basel, Birk­häu­ser Ver­lag, 2022, S. 115

8 | Eben­so, S. 55