Design und künstliche Intelligenz
Wird KI zum kreativen Komplizen?
von Sarah Dorkenwald
Die Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI) scheint sich als ein fester Bestandteil kreativer Prozesse zu etablieren. Die Angebote und Möglichkeiten von KI gesteuerten Programmen werden zunehmend vielfältiger, differenzierter und leichter zugänglich. Sie haben sich auf verschiedene Anwendungsbereiche wie Sprache, Sound, Bewegtbilder, Emotionen oder das Generieren von Bildwelten spezialisiert. Als digitale Werkzeuge beschleunigen sie Arbeitsabläufe, übernehmen Routineaufgaben, stellen Wissen zur Verfügung, werten es aus, prognostizieren und tragen zur Ideenfindung und Inspiration bei.
Die vermehrte Anwendung solcher maschinell lernenden Systeme verändert die Herangehensweise im Design signifikant und wirft zahlreiche Fragen auf, die sowohl die Designpraxis als auch die Designtheorie weiterführend erforschen sollten. Zu untersuchen ist, wie die digitalen Werkzeuge im Prozess eingebunden werden und welche neuen Gestaltungsmethoden und Aufgabenbereiche sich daraus entwickeln. Wie verändern sich gängige gestalterische Standards und Ästhetiken? Und werden diese durch den Einfluss intelligenter Systeme komplexer oder gleichförmiger? Neben Fragen, die den Gestaltungsprozess selbst betreffen, stellt sich ebenso die Frage nach der Rolle der Kreativität – wird die KI zukünftig kreativer Komplize? Und nicht zuletzt: Wer trifft am Ende die Entscheidungen, und inwiefern werden diese von Algorithmen beeinflusst, je nachdem, welches Wertesystem und welche Daten zugrunde gelegt wurden?
KI als Gestaltungswerkzeug
Die Publikation ‚Design und künstliche Intelligenz. Theoretische und praktische Grundlagen der Gestaltung mit maschinell lernenden Systemen ‘ von Marc Engenhart und Sebastian Löwe befasst sich dezidiert mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz als Werkzeug und Inspiration im Design und bietet ein fundiertes Grundlagenwerk. Dabei betonen die beiden Autoren die Notwendigkeit für Designer:innen sich mit künstlicher Intelligenz als Designtool zu befassen, um deren volles Potenzial auszuschöpfen.
Gestaltungswerkzeuge standen schon immer zur Verfügung und haben sich im Laufe der Zeit aufgrund neuer technologischer Möglichkeiten verändert. Auch der Computer war ein Hilfsmittel, um schneller, effektiver und präziser zu gestalten. Er setzte aber auch Kreativität frei und bot Designer:innen Raum für Experimente und das Erproben neuer formal-ästhetischer Ausdrucksformen. Somit haben sich die Fähigkeiten und Aufgabenbereiche der Gestalter:innen erweitert und wurden nicht, wie befürchtet, durch den Computer ersetzt.
Die Wirkungsweise von intelligenten Systemen
Für Engenhart und Löwe unterscheiden sich intelligente Werkzeuge von anderen digitalen Werkzeugen dadurch, dass sie auf statistischen Lernverfahren basieren und somit die Fähigkeit besitzen Vorhersagen zu treffen, die unmittelbaren Einfluss auf die Mittel der Gestaltung als auch die Erlebnisse der Nutzer:innen haben. 1 Gerade im Bereich User Experience, wo es um nutzerzentrierte digitale Lösungen für tatsächlich vorhandene Bedürfnisse geht, benötigen Designer:innen ein grundlegendes Verständnis der Wirkungsweise und Anwendungsmöglichkeiten künstlich-intelligenter Systeme. Nur so können Innovationspotenziale ausgeschöpft und auch die Wirkmacht solcher auf Daten basierender Systeme durchschaut werden. Eine mögliche Voreingenommenheit künstlicher Systeme, die Vorurteile oder Diskriminierung begünstigen kann, muss nicht zwingend eine aktiv angestrebte Verzerrung sein, sondern hängt unter anderem von der Expertise derjenigen ab, die diese Systeme aufsetzen und trainieren. Hinzu kommt, dass Datensätze oftmals nicht ausgewogen erhoben werden und die Wirklichkeit einseitig repräsentiert wird. (2)
Co-Creation mit intelligenten Systemen
Engenhart und Löwe haben die Zusammenarbeit von Designer:innen mit KI-Systemen in allen Phasen des Designprozesses untersucht. Für sie verdeutlicht sich, dass Designer:innen die intelligenten Werkzeuge anpassen und gestalten müssen, um überzeugende individuelle Designlösungen zu erzielen. Es erfordert menschliche Intelligenz, die Ergebnisse maschineller Systeme zu bewerten, zu reflektieren und sinnvoll in den Designprozess einzubinden. Gleichzeitig können maschinell lernende Systeme Informationen liefern, die Designer:innen allein nicht verfügbar wären. Dies führt zu einer Verbesserung der Ergebnisqualität, da sie auf dem Wissen sowohl der Maschine als auch des Menschen basiert. Diese Zusammenarbeit kann als co-kreativer Prozess betrachtet werden, bei dem Designer:innen und Systeme sowohl Lehrende als auch Lernende sind. (3)
Neue Design-Kompetenzen
Designer:innen benötigen heutzutage sowohl analytische als auch kreative Fähigkeiten. Sie müssen in der Lage sein, mit neuen Technologien umzugehen und sollten ein tiefes empathisches Wissen ihrer Zielgruppen haben. (4) Im Zusammenspiel mit intelligenten Systemen werden manche Kompetenzen weniger wichtig oder ersetzt, andere wiederum werden um so bedeutsamer, neue kommen hinzu. Zum Beispiel können in allen Phasen des Designprozesses wiederkehrende und zeitaufwendige Arbeitsschritte wie das Konvertieren von Daten, das Recherchieren von Bildern, das Erstellen von Moodboards, Persona-Profilen oder Entwurfsvarianten automatisiert werden, was die Arbeit insgesamt erleichtert, wenn die Ergebnisse der KI eine hohe Designqualität aufweisen. (5)
Gleichzeitig werden auch neue Fähigkeiten verlangt. Es benötigt nicht nur ein tiefes Verständnis über Nutzer:innenbedürfnisse, sondern auch die Skills diese Erkenntnisse in intelligente Systeme so zu überführen, dass sie entsprechend berücksichtigt werden. Engenhart und Löwe sprechen von sogenannten kognitiven Feedbackloops im Designprozess, die auch als Triple-Loop bezeichnet werden. (6) Dies ist ein Theoriemodell, das den Reflexionsprozess im Design in drei Schritte zerlegt, wobei der dritte Feedbackloop aufgrund des Arbeitens mit lernenden Systemen neu hinzukommt. Designer:innen müssen nun nicht nur ihre eigenen Zielvorstellungen anhand von Artefakten oder Gestaltungstheorien im iterativen Vorgehen abgleichen, sondern auch die Zielvorstellungen und Denkmuster datenbasierter Systeme erfassen und alle Ebenen sinnvoll und kritisch zusammenbringen. Hierfür braucht es ebenfalls ein grundlegendes Verständnis von intelligenten Werkzeugen. (7)
Konsequenzen für das Design
Intelligente Maschinen können menschliche Gesten, Mimik, Sprache, Handlungen, Gefühle und sogar Geschmackspräferenzen genau analysieren und Vorhersagen über zukünftige Vorhaben, Bewegungen, Handlungen, Ereignisse, Geschmäcker und Emotionen treffen. Hierzu erlernen sie auch abstrakte Regeln von politischen, sozialen, wirtschaftlichen und virtuellen Systemen und schließen aus großen Datenmengen auf neue statistische Zusammenhänge. Wenn diese Prognosen, die von intelligenten Systemen getroffen werden, eine dominierende Rolle im Designprozess einnehmen, hat dies erhebliche Auswirkungen nicht nur auf die Grundprinzipien und Arbeitsweisen im Design, sondern auch auf die gestalteten Produkte. Design ist nun nicht mehr nur ein einzigartiger Entwurf aus der Feder der Designer:innen, sondern Design entsteht nun quasi automatisch im Moment der Nutzung. Dieses äußerst personalisierte Nutzererlebnis verwischt die Grenzen zwischen Nutzung und Gestaltung und wirft ethische Fragen zur gestalterischen Verantwortung, zur Inklusion und zum Schutz der Nutzer:innen auf.
Abschließend lässt sich sagen, dass ein Nutzen von intelligenten Systemen auch eine kritische Auseinandersetzung mit diesen verlangt. Ansätze aus dem kritischen und spekulativen Design, wie kritische Formen des Experiments, gesellschaftlich-technologische Gegenentwürfe oder Impulse aus der DIY-Kultur, die Gestalter:innen, Nutzer:innen und eine breite Gesellschaft einbeziehen, können die kritische Auseinandersetzung, Einmischung und Aufklärung und somit auch Weiterentwicklung von intelligenten Systemen fördern. (8)
Zitierempfehlung: Sarah Dorkenwald (16.10.2023): Design und künstliche Intelligenz. Wird KI zum kreativen Komplizen? https://bayern-design.de/beitrag/design-und-kuenstliche-intelligenz‑2/
Die diplomierte (Univ.) Designerin Sarah Dorkenwald praktiziert in ihrer gestalterischen wie theoretischen Arbeit eine kritische Designhaltung. Im Austausch mit anderen Disziplinen hinterfragt sie gängige Herangehensweisen und gesellschaftliche Konventionen und möchte mit aktuellen Positionen im Design Alternativen im Umgang mit Ressourcen, Produktion und Verteilung sowie des Zusammenlebens aufzeigen. Sie ist Professorin an der Hochschule für Kommunikation und Gestaltung in Ulm. Zusammen mit der Designtheoretikerin Karianne Fogelberg hat Sarah Dorkenwald das Münchner Studio UnDesignUnit gegründet. Sie vereinen Kompetenzen und Methoden aus dem Design und der Designtheorie und arbeiten an der Schnittstelle zu anderen Disziplinen und Wissensformen. Sarah Dorkenwald schreibt regelmäßig für Designzeitschriften sowie Fachpublikationen.
1 | Engenhart, Marc/Löwe, Sebastian „Design und künstliche Intelligenz. Theoretische und praktische Grundlagen der Gestaltung mit maschinell lernenden Systemen“, Basel, Birkhäuser Verlag, 2022, S. 17
2 | ebenso, S. 50
3 | Ebenso, S. 83
4 | Godau, Marion: „Design-Kompetenz“, in Erlhoff, Michael/Marshall, Tim (Hrsg.): Wörterbuch Design. Begriffliche Perspektiven des Design, Basel Birkhäuser Verlag, 2008, S. 94
5 | Engenhart, Marc/Löwe, Sebastian „Design und künstliche Intelligenz. Theoretische und praktische Grundlagen der Gestaltung mit maschinell lernenden Systemen“, Basel, Birkhäuser Verlag, 2022, S. 170
6 | Seidel, Stefan/Berente, Nicholas/Lindberg, Aron at al.: „Autonomous Tools and Design. A Triple-Loop Approach to Human-Machine Learning”, https://cacm.acm.org/magazines/2019/1/233528-autonomous-tools-and-design/fulltext (10.10.2023)
7 |Engenhart, Marc/Löwe, Sebastian „Design und künstliche Intelligenz. Theoretische und praktische Grundlagen der Gestaltung mit maschinell lernenden Systemen“, Basel, Birkhäuser Verlag, 2022, S. 115
8 | Ebenso, S. 55