10. August 2022

Auf dem Holzweg

Die Renais­sance des Holzbaus

von Joa­chim Goetz

Ein Tra­di­ti­ons-Werk­stoff wird wie­der­ent­deckt und zeit­ge­mäß inter­pre­tiert. Architekt:innen, Handwerker:innen und Indus­trie ver­lei­hen dem Holz ein neu­es Image

Seit die funk­tio­na­lis­ti­sche Moder­ne mit den Mate­ria­li­en Stahl, Glas und Beton ihre gefei­er­ten archi­tek­to­ni­schen Meis­ter­wer­ke kre­ierte, fris­te­te der Holz­bau in der Archi­tek­tur ein Aschen­put­tel-Dasein. Das über Jahr­tau­sen­de gebräuch­li­che Bau­ma­te­ri­al galt nun als min­der­wer­tig, arm­se­lig, bil­lig und vor allem rück­stän­dig. Die Asso­zia­tio­nen waren Block­hüt­te, Scheu­ne oder Heu­scho­ber. Küh­ne bau­künst­le­ri­sche Ideen – enor­me Bau­hö­he, gestal­te­ri­sche Extra­va­ganz, moder­ne Ästhe­tik – waren mit die­sem Werk­stoff nicht zu rea­li­sie­ren. Lehrstuhlinhaber:innen, die (tra­di­tio­nel­le) Holz­bau­tech­ni­ken lehr­ten, ver­spot­te­te man nicht sel­ten als „Holz­wür­mer“: Und ver­gaß dar­über, dass das in Stein gebau­te Vene­dig etwa auf 1000 Jah­re alten Eichen­pfäh­len ruht – und immer noch steht.

Heu­te ist wie­der alles anders. Holz­bau liegt im Trend. Im Ein­fa­mi­li­en­haus­bau steigt die Ver­wen­dung von Holz bereits seit vie­len Jah­ren ste­tig. Im „grü­nen“ Vor­rei­ter-Land Baden-Würt­tem­berg sind etwa 25 Pro­zent aller neu­en Objek­te aus Holz, im Bun­des­durch­schnitt etwa 15. Seit eini­ger Zeit machen sogar Hoch­häu­ser mit mehr als fünf Geschos­sen von sich reden.

 

 

Der Mjøsa Tower, das 2019 höchste Holzgebäude der Welt in Brumunddal, Norwegen, wurde von Voll Arkitekter AS entworfen
Der Mjøsa Tower, das 2019 höchste Holzgebäude der Welt in Brumunddal, Norwegen, wurde von Voll Arkitekter AS entworfen (© Voll Arkitekter AS & EVE Images)
Der Mjøsa Tower, das 2019 höchste Holzgebäude der Welt in Brumunddal, Norwegen, wurde von Voll Arkitekter AS entworfen (© Voll Arkitekter AS & EVE Images)
Holzhochhaus SKAIO des Architekturbüros Kaden + Lager
Das 14stöckige Holzhochhaus SKAIO des Architekturbüros Kaden + Lager (© Höfele)
Das 14stöckige Holzhochhaus SKAIO des Architekturbüros Kaden + Lager (© Höfele)

Was sind die Grün­de für den Boom?

Der Werk­stoff gilt als gesund, belas­tet den Orga­nis­mus nicht mit krank machen­den che­mi­schen Aus­düns­tun­gen. Holz schafft eine ange­neh­me Atmo­sphä­re und weist her­vor­ra­gen­de Wär­me­dämm­ei­gen­schaf­ten auf. Das Raum­kli­ma ist des­halb so gut, weil Holz ein schlech­ter Wär­me­lei­ter ist – und so die höl­zer­nen Innen­wän­de, ‑böden und ‑decken kaum nied­ri­ge­re Tem­pe­ra­tu­ren als die Raum­luft besit­zen. Das ver­hin­dert kal­te Strah­lung, star­ke Luft­tur­bu­len­zen und sorgt für einen hei­me­li­gen Effekt sowie hohe Behag­lich­keit. Die­ser Kom­fort ist vie­len Häuslebauer:innen der im Ver­gleich mit kon­ven­tio­nel­len Bau­ten um etwa zehn Pro­zent höhe­re Bau­preis offen­sicht­lich wert.

Die Vor­tei­le für die Umwelt: Holz­bau ist Kli­ma­schutz. Holz ersetzt Werk­stof­fe, die äußerst ener­gie­auf­wen­dig erzeugt wer­den und spei­chert CO2 über die kom­plet­te Ver­wen­dungs­dau­er. Pro 150 Qua­drat­me­ter-Haus sind das 50 Ton­nen. Außer­dem wächst Holz nach. Angeb­lich so schnell, dass der – zuge­ge­ben unvor­stell­bar gro­ße – schwe­di­sche Wald in einer ein­zi­gen Minu­te den Holz­be­darf eines Ein­fa­mi­li­en­hau­ses wach­sen lässt. Aus­ge­rech­net hat das die schwe­di­sche Fir­ma Folk­hem, die auch ein 22-geschos­si­ges Holz­haus in Stock­holm plan­te. Ver­wen­det wer­den soll – kur­ze Trans­port­we­ge sind nach­hal­tig – ein­hei­mi­sche Fich­te aus der Nach­bar­schaft. Zuvor hat­te man ger­ne Zedern­holz ver­baut. Das muss­te aber über tau­sen­de Kilo­me­ter aus Kana­da her­an­ge­schifft werden.

Die bei­den höchs­ten Holz­häu­ser Euro­pas ste­hen in Oslo und in Wien – wobei man das gar nicht mehr so genau weiß. Denn die Höhen­re­kor­de pur­zeln stän­dig. In Lon­don ist ein 300 ‑Meter-Rie­se geplant, in Chi­ca­go einer mit 244 Metern. Und 2019 stand das glo­bal höchs­te höl­zer­ne Exem­plar noch in Heilbronn.
In Mün­chen ent­stand seit 2017 mit dem Prinz-Eugen-Park auf einem ehe­ma­li­gen Kaser­nen­ge­län­de mit etwa 600 Woh­nun­gen Euro­pas größ­te Holz­bau­sied­lung. Bis zu sie­ben Geschos­se hoch sind die Bau­ten. Die in unter­schied­li­chen Kon­struk­ti­ons­me­tho­den erstellt wur­den. Man unter­schei­det dabei Holz­mas­siv­bau, Modul‑, Rahmen‑, Ske­lett- oder Hybrid­bau – wobei sich dies auch mischt.

Mög­lich ist das alles, weil die tech­no­lo­gi­sche Wei­ter­ent­wick­lung auch vor der höl­zer­nen Natur nicht Halt macht. In Sachen Wär­me­däm­mung, Lärm- und Brand­schutz weist Holz dank moder­ner Mate­ri­al­tech­nik (etwa Umman­te­lung mit Gips­kar­ton) kei­ne Nach­tei­le (mehr) gegen­über ande­ren Bau­stof­fen auf.
Im Bereich der Sta­tik und Fes­tig­keit über­trifft Holz sogar die Eigen­schaf­ten von Stahl, kor­rek­te Ver­wen­dung vor­aus­ge­setzt. Dabei bringt es weni­ger Gewicht auf die Waage.
Auch der Bau­pro­zess besitzt Vor­tei­le. Da beim Holz­bau viel exak­ter gedacht, geplant und schließ­lich gear­bei­tet wer­den muss – und wird, kann viel vor­ge­fer­tigt wer­den. Das bedeu­tet anders­her­um: Das Gebäu­de kann meis­tens in Win­des­ei­le auf die zuvor fer­tig­ge­stell­ten beto­nier­ten Fun­da­men­te auf­ge­baut wer­den. Vor­fa­bri­zier­te Ein­fa­mi­li­en­häu­ser, die in nur einem Tag ein­zugs­fer­tig auf­ge­stellt wer­den kön­nen, gibt es schon lan­ge. Und selbst bei den mehr­ge­schos­si­gen Vor­zei­ge­ob­jek­ten dau­ert die Bau­zeit – die man auch als „Mon­ta­ge“ bezeich­net – nur weni­ge Wochen.

Inzwi­schen wer­den sogar Fer­tig­häu­ser von Indus­trie­ro­bo­tern mon­tiert. Stän­dig wei­ter ent­wi­ckelt sich auch die indus­tri­el­le Auf­be­rei­tung von Holz. So hat etwa die nor­we­gi­sche Fir­ma Keb­o­ny eine Ver­ede­lung von Kie­fern­holz mit­tels Bio­al­ko­hol ent­wi­ckelt, der als Rest­stoff bei der Zucker­ver­ar­bei­tung anfällt. Holz erhält so die Eigen­schaf­ten tro­pi­scher Hart­höl­zer, es schwin­det und quillt nur noch unbe­deu­tend. Und kann so auch fürs Dach oder Pfos­ten-Rie­gel-Kon­struk­tio­nen her­ge­nom­men werden.

Auch für Nach­ver­dich­tung – also Umbau, Auf­sto­ckun­gen, Ergän­zun­gen – eig­net sich Holz her­vor­ra­gend. Das jeden­falls meint Her­mann Kauf­mann, der als einer der Prot­ago­nis­ten des moder­nen Holz­baus gilt, den Lehr­stuhl „Holz­bau und Ent­wer­fen“ an der TU Mün­chen inne­hat und den Holz­bau-Atlas her­aus­gibt. Denn Holz ist leicht, gut zu ver­ar­bei­ten, effi­zi­ent zu trans­por­tie­ren. Die Vor­fer­ti­gung erlaubt schnel­les und stö­rungs­ar­mes Bauen.

TUM Campus, München, einer der größten Holzbauten Europas. 153 Meter langes freitragendes Vordach, das 18,3 Meter frei auskragt. Architekten: Dietrich - Much Untertrifaller (© Aldo Amoretti)
TUM Campus, München, einer der größten Holzbauten Europas. 153 Meter langes freitragendes Vordach, das 18,3 Meter frei auskragt. Architekten: Dietrich - Much Untertrifaller (© Aldo Amoretti)
TUM Campus, München, einer der größten Holzbauten Europas. 153 Meter langes freitragendes Vordach, das 18,3 Meter frei auskragt. Architekten: Dietrich - Much Untertrifaller (© Aldo Amoretti)
VINZENT von Allmann Wappner (© Bauwerk)
VINZENT von Allmann Wappner (© Bauwerk)
VINZENT von Allmann Wappner (© Bauwerk)

Auch grö­ße­re inner­städ­ti­sche Bau­vor­ha­ben wer­den inzwi­schen realisiert

Der Archi­tekt Lud­wig Wapp­ner, der gera­de im dicht bebau­ten Mün­chen-Neu­hau­sen ein gro­ßes Wohn­ob­jekt namens Vin­cent mit begrün­ten Fas­sa­den und Innen­hof baut, plä­diert für eine res­sour­cen­scho­nen­de Hybrid­bau­wei­se. Der Roh­stoff Holz, von dem die Mas­siv­holz­bau­wei­se enor­me Men­gen ver­schlingt, steht nur begrenzt zur Ver­fü­gung. Es gilt klu­ge Wege zu fin­den, die kost­ba­re natür­li­che Ress­sour­ce ver­ant­wor­tungs­voll zu nut­zen. Die Kom­bi­na­ti­on mit ande­ren Mate­ria­li­en wie Mau­er­werk, Lehm oder Ultra­leicht­be­ton bie­tet sich an. Ganz aus Holz sind höhe­re Gebäu­de ohne­hin nicht. Fun­da­men­te und Erschlie­ßungs­ker­ne sind bis­her fast immer noch aus Beton, Erd­ge­schos­se oft aus Mau­er­werk – weil das die Bau­ord­nun­gen so verlangen.
Viel­leicht das Auf­fäl­ligs­te am neu­en Holz-Boom: Die Archi­tek­tur hat das Block­hüt­ten-Image abge­streift und muss sich in ästhe­ti­scher Hin­sicht wirk­lich nicht verstecken.

Joachim Goetz (Foto: Ralf Dombrowski)
Joa­chim Goetz (Foto: Ralf Dombrowski)

Der Autor Joa­chim Goetz stu­dier­te Archi­tek­tur in Mün­chen und Denver/Colorado mit Fächern wie Kunst- und Bau­his­to­rie, Skulp­tur, Foto­gra­fie, Aqua­rell, Land­schafts- und Pro­dukt­ge­stal­tung. Er arbei­te­te in Archi­tek­tur­bü­ros u. a. bei GMP, gewann Wett­be­wer­be mit Josef Götz und bau­te ein Haus mit Tho­mas Rös­sel und Heinz Fran­ke. Seit 1990 ist er haupt­be­ruf­lich als Autor tätig, war Redak­teur bei Bau­meis­ter und Wohn­De­sign. Publi­ka­tio­nen erfolg­ten in natio­na­len und inter­na­tio­na­len Tages‑, Publikums‑, Kunst- und Design-Zeit­schrif­ten wie SZ, Madame, AIT, Münch­ner Feuil­le­ton, AZ oder Design Report. Inter­views ent­stan­den – etwa mit Etto­re Sott­s­ass, Gün­ter Beh­nisch, Ales­san­dro Men­di­ni, Zaha Hadid, James Dys­on, Jen­ny Hol­zer, Wal­ter Nie­der­mayr oder Dani­el Libes­kind. Zudem arbei­te­te er für Unter­neh­men wie Sied­le, Phoe­nix Design, Hyve. Für Sedus wirk­te er mit­ver­ant­wort­lich an der ers­ten digi­ta­len Archi­tek­tur­zeit­schrift a‑matter.com (1999–2004) sowie an der Kom­pe­tenz­zeit­schrift „Place2.5“ (2011–2014) mit. Für bay­ern design und die MCBW ist er immer wie­der als Autor tätig. Sei­ne Arbeit wur­de von der Bun­des­ar­chi­tek­ten­kam­mer mit einem Medi­en­preis für Archi­tek­tur und Stadt­pla­nung aus­ge­zeich­net. Außer­dem berät J. Goetz auch klei­ne­re Unter­neh­men enga­giert in spe­zi­el­len Design‑, Mar­ke­ting- und aus­ge­fal­le­nen Fragen.