Zum Stand der Designforschung
von Sarah Dorkenwald
Die Anwendungsfelder der Designforschung sind so vielschichtig, wie die Aufgaben des Designs selbst und setzen wichtige Impulse in vielen unterschiedlichen Forschungsbereichen. Dennoch scheint es, dass nicht nur außerhalb des gestalterischen akademischen Umfeldes, sondern auch innerhalb oft nicht klar ist, was genau die Designforschung umfasst und worin ihre Potenziale liegen.
Die Möglichkeiten, die die Designforschung im Zusammenspiel mit Industrie, Wissenschaft und Entwicklung bewirken kann, sind noch lange nicht erkannt und genutzt. Für forschende und promovierte Designer:innen fehlen nicht selten berufliche Anschlussperspektiven, trotz der zahlreichen erfolgreichen Beispiele, wo der Transfer der Designforschung in die Anwendung zukunftsweisende Innovationen hervorgebracht hat. Gleichzeitig gilt es für die Designforschung sich nicht nur nach außen zu orientieren, sondern die eigene Disziplin weiterzuentwickeln und neue designtypische Ansätze und Herangehensweisen zu erkennen, zu analysieren und zu verstetigen.
Andreas Koop, Verfasser des Textes ‚Der springende Punkt. Axiome für eine unscharfe Disziplin: Design.‘ hebt hervor, dass sich in der Designlehre wie auch ‑forschung bisher keine allgemeingültige begriffliche Systematik herausgebildet hat und vielleicht auch gar nicht herausbilden kann, da kaum auf gesichertes Wissen zurückgegriffen werden kann.
Vielleicht liegt aber auch genau darin die besondere Chance der Designdisziplin und ihrer Forschung, die ganz eigene Wege geht und die weniger im klassischen Sinne wissenschaftlich messbar sind. „Was das Potenzial, also die Dimension des ‚Möglichkeitssinns‘ angeht, ist Designforschung sicherlich die Steigerung von Design. Es ist dabei nicht nur die perfekte ‚Co-Disziplin‘ für viele andere Wissenschaften, sondern auch eine eigenständige, originäre Quelle und Methode für neue Erkenntnisse – oder, was eigentlich wichtiger noch wäre, eine Hilfe bei deren Umsetzung zwischen Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft.“ erläutert der diplomierte Designer aus dem Allgäu.
„Was das Potenzial, also die Dimension des ‚Möglichkeitssinns‘ angeht, ist Designforschung sicherlich die Steigerung von Design.“ Andreas Koop
Designforschung in der Lehre in Bayern
Die Designforschung als fester Bestandteil der Designdisziplin hat sich vor allem im Kontext der ‚künstlerischen Forschung‘ an Kunstakademien und Universitäten etabliert. Aber auch die Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) bieten vermehrt eine ‚angewandte künstlerische Forschung‘ (1) für Designerstudierende an. Gerade die praxisbasierten PhD-Programme an den Designhochschulen und ‑fakultäten möchten eigenständige, innovative und anwendungsbezogene Forschungsansätze und ‑methoden vorantreiben, die nicht nur für das Design selbst relevant sind, sondern die Designforschung mit seiner spezifischen Forschungskultur auch für andere Disziplinen neue wissenschaftliche Standards setzt.
Im Zuge der Hightech Agenda (HTA) des Freistaats Bayern, mit deren Mittel Spitzenforschungszentren eingerichtet werden sollen, wurden der Fakultät für Design der Hochschule München als erste bayerischer Designfakultät vier Forschungsprofessuren in den Bereichen „Design- und Innovationskulturen im Kontext von gesellschaftlichem Wandel und transformativen Prozessen“, „Systemisches Design im Kontext von gesellschaftlichem Wandel und transformativen Prozessen“, „Transformative Lehre“ und „Wissenstransfer durch Motion Design und Animation“ bewilligt. Ein erster Schritt Design als innovatives akademisches Forschungsfeld auch an den Designfakultäten der HAWs in Bayern zu ermöglichen und zu fördern, stellen die Dekan:innen klar. (2)
Bereiche der Designforschung
Was genau die Designforschung umfasst und welche Forschungsfelder sich daraus ergeben, wird nach wie vor sehr unterschiedlich definiert und angewendet, aber vielleicht liegt gerade darin das Potenzial. Stephan Ott, Direktor des Institute for Design Research and Appliance (IfDRA) des Rats für Formgebung in Frankfurt versucht es folgendermaßen in Worte zu fassen: „Aus meiner Sicht gibt es keine einfache und eindeutige Definition des Begriffs ‚Designforschung‘, vielmehr wird er in den verschiedenen Bereichen des Designs divergent verwendet. Einzig, wenn Design ganz allgemein als das Hinterfragen von Bestehendem verstanden würde – um es für die Menschen, die Gesellschaft, die Welt zu verbessern –, könnte man Designforschung in elementarer Lesart als das Hinterfragen des Hinterfragens definieren.“ (3)
Grundsätzlich ließe sich zwischen theoretischer und praktischer Forschung unterscheiden, erläutert er. Theoretische Designforschung sei akademisch geprägt und umfasse sowohl die Grundlagenforschung als auch die disziplinübergreifende Forschung in anderen Wissenschaftsbereichen wie Geschichte, Informatik oder Soziologie. Praktische, anwendungsorientierte Designforschung finde sowohl in Unternehmen als auch im Hochschulbereich statt. Auch hier seien die Forschungsfelder breit angelegt und reichen von der Materialforschung über die Exploration neuer Themengebiete bis hin zum Customer Research oder User Testing. Am IfDRA leitet Ott eine umfassende Studie zur Designforschung. Schwerpunkte der Studie sind Definition, Skills, Ausbildung, Methoden und Bedarfe. Die Ergebnisse werden voraussichtlich im Mai 2023 veröffentlicht. (4)
Drei Ansätze in der Designforschung
Bei dem Versuch einer Definition hat sich unter anderem die Terminologie von Christopher Frayling vom Royal College of Art London durchgesetzt, wo er in Kunst und Design zwischen drei Arten von Forschung: research for art and design, research into art and design und research through art and design unterscheidet. (5)
Kurz zusammengefasst versteht er unter der ‚Forschung für Design‘ eine praxisbasierte Forschung, die Aspekte der Technologie, Ergonomie, Ökonomie und Soziologie vornehmlich in Produktentwicklungen integriert und dazu dient innovative Lösungen zu finden. In der Regel werden hierbei keine wissenschaftlichen Daten generiert oder zumindest aus Wettbewerbsgründen nicht zugänglich gemacht.
Unter der ‚Forschung über Design‘ fasst er Forschungsarbeiten zusammen, die im akademischen Kontext aus der Perspektive einer anderen Disziplin wie zum Beispiel der Kunstgeschichte, Soziologie oder Ästhetik und mittels standardisierter wissenschaftlicher Methoden designspezifische Entwicklungen und Phänomene untersuchen. Kritik wird hier an der Tatsache geübt, dass diese Designtheoretiker oft keinen praktischen Bezug zur Designdisziplin haben und zumindest mit Designprozessen vertraut sein sollten, um mit ihren Erkenntnissen nicht nur der Weiterentwicklung der eigenen Disziplin, sondern auch der der Designforschung als eigenständige wissenschaftliche Disziplin dienen zu können.
Forschung durch Design – der vielversprechendste Ansatz für das Design
Laut der Designwissenschaftlerin Claudia Mareis, die sich wiederum auf den Designtheoretiker Alain Findeli beruft, scheint der Ansatz ‚Forschung durch Design‘ in der Designforschung der vielversprechendste zu sein, da er sich in dem Bestreben begründet einen für das Design spezifischen Forschungsansatz zu etablieren. Dieser soll in streng wissenschaftlicher Hinsicht anerkannt als auch für die Designpraxis produktiv sein. Hierbei handelt es sich um eine projektgeleitete Forschung, die im Rahmen eines Designprojektes situiert ist oder ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, in dem Designer/innen gemeinsam mit Vertretern anderer (wissenschaftlicher) Disziplinen einer Forschungsfrage nachgehen.
Wie allerdings im Konkreten die Definition einer solchen ‚Forschung durch Design‘ aussehen soll wird durchaus kontrovers diskutiert. Mareis merkt kritisch an, dass obwohl ‚Forschung durch Design‘ von vielen als der ‚Königsweg‘ der Designforschung angesehen würde, die Präferenz auch eine Einschränkung bedeute. Erst durch möglichst vielfältige, frei wählbare Zugänge und Perspektiven könne sich ein Forschungsfeld in seiner ganzen Breite und Tiefe entfalten. (6)
Designbasierte Forschung für mehr Wissenstransfer
Ein Vertreter designbasierter Forschung ist das Center for Responsible Research and Innovation (CeRRI) am Fraunhofer IAO in Berlin. Durch die Anwendung partizipativer und co-kreativer, aber auch spekulativer Designmethoden und Tools in interdisziplinären Forschungsteams, initiieren sie Innovations- und Veränderungsprozesse, die die Potenziale neuer Technologien in Transformationsfeldern wie Gesundheit, Mobilität oder KI unter Berücksichtigung sozialer, ethischer und gesellschaftlicher Fragen, untersuchen. Die Innovation liegt vor allem an der partizipativ und kollaborativ ausgerichteten Forschung des CeRRI, die maßgeblich durch die Impulse aus dem Design geprägt ist und die aktive und kritische Teilnahme unterschiedlicher Interessensgruppen ermöglicht.
Das Team ‚CoDesign und Transferstrategien‘ des CeRRI versteht sich hierbei als Vorreiter, Transfer wissenschaftlich zu erforschen und mittels Methoden aus dem strategischen Design zukunftsfähig zu gestalten. Sie nutzen Ansätze aus dem Design als Katalysator für kollaborative Entwicklungsprozesse und zur Gestaltung neuer Transferstrategien zwischen Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Als ‚neue Formate einer Forschungskommunikation‘ bezeichnen sie Methoden, Formate und designbasierte Darstellungsformen wie Artefakte, Objekte, Szenarien und (interaktive) Visualisierungen mit denen sie einen Wissenstransfer von der Wissenschaft in die Gesellschaft aber auch und von der Gesellschaft in die Wissenschaft fördern möchten. (7)
Lynn Harles, ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin am CeRRI erklärt: „Die Fraunhofer Gesellschaft ist ja eine der bedeutendsten anwendungsorientierten Forschungsinstitutionen und beschäftig sich in erster Linie mit der Entwicklung von technologischen Innovationen und Prototypen. Das Institut unterscheidet sich inhaltlich ein Stück von den anderen Instituten, da es keine Prototypen für die industrielle Anwendung entwickelt, sondern sich damit beschäftigt, wie Technologien und Gesellschaft interagieren und zusammengebracht werden können. Also wie beeinflusst die Technologie die Gesellschaft, aber auch rückwirkend, wie beeinflusst die Gesellschaft die Technologieentwicklung. Dazu werden vorwiegend methodische Vorgehensweisen und Prozesse an der Schnittstelle zur Sozialwissenschaft und Designforschung entwickelt.“ (8)
Designforschung als eigene Wissenskultur
Designforschung als eigene Wissenskultur steht für Prof. Markus Frenzl außer Frage. Der HTA-Professor für „Design- und Innovationskulturen“, erläutert: „Die großen Herausforderungen im Kontext von Klimakatastrophe, Verkehrswende, Ernährungswende, Entrepreneurship, Digitalisierung oder KI erfordern das Zusammenwirken verschiedener Disziplinen. Dabei geht es nicht nur um die Erforschung neuer technologischer Entwicklungen, sondern auch um Kommunikation, neue Prozesse und Kulturmuster. Mit seiner eigenen Wissenskultur und epistemischen Praxis kann Design dabei auch neue Impulse für den Forschungsbetrieb, für Kooperationen, Methoden und Messkriterien der Forschung geben. Die Designforschung sollte sich deshalb nicht an eingefahrene Forschungskategorien anpassen, sondern sie bewusst in Frage stellen und weiterentwickeln.“
Deswegen geht das Symposium „Designforschung – Disruption im Forschungsbetrieb?“, das im Rahmen der munich creative business week (mcbw) 2023 an der Fakultät für Design der Hochschule München stattfindet und von den fünf bayerischen Designfakultäten veranstaltet wird, noch einen Schritt weiter und fragt sich, inwieweit die Designforschung das Potenzial hat, mit seiner eigenen Wissenskultur andere Wissensformen zu ersetzen. Mit dieser radikal selbstbewussten Haltung würde sich dann die Frage erübrigen, ob und wie sich die Designforschung an bestehende Forschungsbegriffe, ‑kriterien und ‑methoden anpasst.
Das Symposium findet begleitend zur Ausstellung „Designforschung Bayern – Gegenwart und Zukunft“ statt, die mit Beispielen von Forschungsansätzen und ‑ergebnissen, entstanden an den Designfakultäten Bayerns, aufzeigen möchte, welche Bedeutung und Einfluss die Designforschung auf soziokulturelle Transformationsaufgaben hat. Den Vertreter:innen der bayerischen Designfakultäten ist klar, dass Design als Schnittstellendisziplin Wissensbereiche sinnvoll zusammenführen kann, um Innovationen im Kontext von Wirtschaft, Ökologie und Gesellschaft voranzutreiben (9) – genau das, was wir in Zeiten des Umbruchs dringend benötigen.
Zitierempfehlung: Sarah Dorkenwald (17.04.2023): Zum Stand der Designforschung https://bayern-design.de/beitrag/zum-stand-der-designforschung/
Die diplomierte (Univ.) Designerin Sarah Dorkenwald praktiziert in ihrer gestalterischen wie theoretischen Arbeit eine kritische Designhaltung. Im Austausch mit anderen Disziplinen hinterfragt sie gängige Herangehensweisen und gesellschaftliche Konventionen und möchte mit aktuellen Positionen im Design Alternativen im Umgang mit Ressourcen, Produktion und Verteilung sowie des Zusammenlebens aufzeigen. Sie ist Professorin an der Hochschule für Kommunikation und Gestaltung in Ulm. Zusammen mit der Designtheoretikerin Karianne Fogelberg hat Sarah Dorkenwald das Münchner Studio UnDesignUnit gegründet. Sie vereinen Kompetenzen und Methoden aus dem Design und der Designtheorie und arbeiten an der Schnittstelle zu anderen Disziplinen und Wissensformen. Sarah Dorkenwald schreibt regelmäßig für Designzeitschriften sowie Fachpublikationen.
(1) Abgerufen am: 28. März 2023: https://designfakultaetenbayern.de/Designforschung
(2) Abgerufen am: 28. März 2023: https://designfakultaetenbayern.de/Designforschung
(3) Abgerufen am 29. März 2023: https://www.german-design-council.de/ueber-uns/institute-for-design-research-and-appliance
(4) Abgerufen am 29. März 2023: https://www.german-design-council.de/ueber-uns/institute-for-design-research-and-appliance
(5) Frayling, Christopher. (1993/4). Research in Art and Design. Royal College of Art Research Papers, Seite 1–5.
(6) Mareis, Claudia (2008), Designwissenschaft und Designforschung: Ein einführender Überblick. In: Ansätze in der Designforschung, Seite 25/26, Hochschule Luzern. Abgerufen am 28. März 2023 von https://www.academia.edu/44363103/Designwissenschaft_und_Designforschung_Ein_einführender_Überblick
(7) Abgerufen am 29. März 2023: https://www.cerri.iao.fraunhofer.de/de/leistungsspektrum/codesignundtransferstrategien.html
(8) Nomad Magazin (Ausgabe 10/2021). In: Lynn Harles – Design Scientist, Interview Sarah Dorkenwald
(9) Abgerufen am 30. März 2023: https://www.mcbw.de/programm/detail/event/designforschung-bayern-gegenwart-und zukunft