Materialfragen zwischen Forschung und Anwendung
Das war perspectives by design – material innovations
Die Materialfrage ist ein wichtiger Aspekt in den Krisen unserer Zeit. Material verbindet Forschung mit Anwendung, Wissenschaft mit der Industrie, Produkte mit Nutzer:innen, Disziplinen miteinander. Design ist die Querschnittsdisziplin, die Kontexte und Verbindungen gestalten kann.
Begleitend zur Ausstellung Material+ sprachen am 16. Mai bei unserem Talkevent „perspectives by design – material innovations“ im Neuen Museum Nürnberg Prof. Nitzan Cohen, Katrin Krupka und Prof. Dr. Sascha Peters. Alle drei untersuchen Materialien als Gestaltungselemente und sind in Prozesse der Materialforschung und Entwicklung eingebunden, die sie an diesem Abend anhand zahlreicher Beispiele veranschaulichten.
Nitzan Cohen berichtete in seinem Vortrag „Von Lebensmittelabfällen zu biologisch abbaubaren Zukünften. Das innovative Potenzial von designgeleiteter interdisziplinärer Arbeit ausloten“ von InnoCell, einem breit angelegten, interdisziplinären Projekt an der Freien Hochschule Bozen, das die Herstellung und Anwendung von mikrobieller Zellulose aus organischen Abfallstoffen untersucht. Die mikrobielle Zellulose wird dabei vor Ort in einem Bioreaktor, der auch in der Ausstellung gezeigt wird, durch Fermentierung organischer Stoffe von Bakterien und Hefen erzeugt. Organischer Ausgangsstoff sind vor allem Abfälle aus der Apfelindustrie in Südtirol. Aus dieser lokalen Ressource wurden verschiedene Verarbeitungs- und Anwendungsmöglichkeiten entwickelt, u.a. kompostierbare Verpackungen oder probiotische Lebensmittel. Der Vortrag verdeutlichte anschaulich das innovative Potenzial designgeleiteter interdisziplinärer Arbeit und lokaler Ressourcen.
Mit lokalen Ressourcen beschäftigt sich auch Designerin Katrin Krupka, wenn sie den Rohstoffpotenzialen in Natur und Industrie auf die Spur geht. Mit ihrem forschungsbasierten Designstudio Endogenous Lab, das sie gemeinsam mit der Designerin und Anthropologin Caterina Plentzick betreibt, arbeitet sie an selbstinitiierten Projekten wie From Dust, aus dem einige Demonstratoren auch in der Ausstellung zu sehen sind. Ausgehend von der ungeheuren Menge Textilabfälle entwickelten die beiden Designer:innen ein Vliesmaterial aus recyceltem Faserstaub und rPET-Flaschen. Auch am Ende des Recyclingprozesses sei immer noch etwas Verwertbares zu entdecken, das teilweise in Kombination mit anderen Reststoffen ein Upgrade erhalten kann. Im Prozess des Grenzenaustestens täten sich, so die Designerin, Möglichkeiten auf, die aufgegriffen werden wollen.
Diese Herangehensweise demonstrierte sie auch an zwei weiteren Projekten: Terra Tale und Refused Matter. Aus lokalen geologischen Ressourcen bzw. aus landwirtschaftlichen Reststoffen und Nebenprodukten werden Alternativen zu Zement bzw. Beton erforscht. Projekte wie diese seien ohne interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht möglich, unterstrich Krupka. Und hilfreich seien zudem Förderprogramme für Unternehmenskooperationen, denn kleine und mittelständische Unternehmen könnten sich experimentelle Arbeit oft einfach nicht leisten.
Nachhaltigkeit bei Material erst seit zehn Jahren im Blick
Verschiedene Wege von Designer:innen und ihren Materialien bzw. Anwendungen in den Markt zeigte Prof. Dr. Sascha Peters, Geschäfstführer der Beratung Haute Innovation, anhand zahlreicher Beispiele auf. Seit mindestens 20 Jahren interessierten sich Designer:innen für Materialien. Nachhaltigkeit hätten Design und Industrie aber erst seit rund zehn Jahren im Blick. Und so hätten es einige frühe Entwicklungen anfangs recht schwer gehabt. Erst nach und nach habe sich der Erfolg eingestellt.
Anhand einer großen Fülle beeindruckender Beispiele und persönlichen Stories zeigte Peters, wie unterschiedlich die Erfolgsgeschichten und die Anwendungen sind. Mindestens einen Tipp konnten angehende Designer:innen dabei mitnehmen: Sportartikel, Mode und Baubranche/Architektur seien erfolgversprechende Bereiche für vielfältige nachhaltige Materialanwendungen. Und zweifellos hilfreiche seien Inkubatorenprogramme, auch wenn es diese anders als in Schweden und in Großbritannien bisher nur an wenigen Designhochschulen in Deutschland gebe.
Wichtig für die Positionierung des Themas der neuen nachhaltigen Materialien, darin waren sich alle drei Speaker:innen einig, seien zweifellos Ausstellungen wie „Material+“, denn: „Das Thema ist zwar zeitgemäß, aber keineswegs selbstverständlich!“, so Nitzan Cohen.