22. Mai 2023

Mate­ri­al­fra­gen zwi­schen For­schung und Anwendung

Das war per­spec­ti­ves by design – mate­ri­al innovations

Die Mate­ri­al­fra­ge ist ein wich­ti­ger Aspekt in den Kri­sen unse­rer Zeit. Mate­ri­al ver­bin­det For­schung mit Anwen­dung, Wis­sen­schaft mit der Indus­trie, Pro­duk­te mit Nutzer:innen, Dis­zi­pli­nen mit­ein­an­der. Design ist die Quer­schnitts­dis­zi­plin, die Kon­tex­te und Ver­bin­dun­gen gestal­ten kann.

Beglei­tend zur Aus­stel­lung Mate­ri­al+ spra­chen am 16. Mai bei unse­rem Tal­ke­vent „per­spec­ti­ves by design – mate­ri­al inno­va­tions“ im Neu­en Muse­um Nürn­berg Prof. Nitz­an Cohen, Kat­rin Krup­ka und Prof. Dr. Sascha Peters. Alle drei unter­su­chen Mate­ria­li­en als Gestal­tungs­ele­men­te und sind in Pro­zes­se der Mate­ri­al­for­schung und Ent­wick­lung ein­ge­bun­den, die sie an die­sem Abend anhand zahl­rei­cher Bei­spie­le veranschaulichten.

Nitz­an Cohen berich­te­te in sei­nem Vor­trag „Von Lebens­mit­tel­ab­fäl­len zu bio­lo­gisch abbau­ba­ren Zukünf­ten. Das inno­va­ti­ve Poten­zi­al von design­ge­lei­te­ter inter­dis­zi­pli­nä­rer Arbeit aus­lo­ten“ von Inno­Cell, einem breit ange­leg­ten, inter­dis­zi­pli­nä­ren Pro­jekt an der Frei­en Hoch­schu­le Bozen, das die Her­stel­lung und Anwen­dung von mikro­biel­ler Zel­lu­lo­se aus orga­ni­schen Abfall­stof­fen unter­sucht. Die mikro­biel­le Zel­lu­lo­se wird dabei vor Ort in einem Bio­re­ak­tor, der auch in der Aus­stel­lung gezeigt wird, durch Fer­men­tie­rung orga­ni­scher Stof­fe von Bak­te­ri­en und Hefen erzeugt. Orga­ni­scher Aus­gangs­stoff sind vor allem Abfäl­le aus der Apfel­in­dus­trie in Süd­ti­rol. Aus die­ser loka­len Res­sour­ce wur­den ver­schie­de­ne Ver­ar­bei­tungs- und Anwen­dungs­mög­lich­kei­ten ent­wi­ckelt, u.a. kom­pos­tier­ba­re Ver­pa­ckun­gen oder pro­bio­ti­sche Lebens­mit­tel. Der Vor­trag ver­deut­lich­te anschau­lich das inno­va­ti­ve Poten­zi­al design­ge­lei­te­ter inter­dis­zi­pli­nä­rer Arbeit und loka­ler Ressourcen.

Mit loka­len Res­sour­cen beschäf­tigt sich auch Desi­gne­rin Kat­rin Krup­ka, wenn sie den Roh­stoff­po­ten­zia­len in Natur und Indus­trie auf die Spur geht. Mit ihrem for­schungs­ba­sier­ten Design­stu­dio Endo­ge­nous Lab, das sie gemein­sam mit der Desi­gne­rin und Anthro­po­lo­gin Cate­ri­na Ple­nt­zick betreibt, arbei­tet sie an selbst­in­iti­ier­ten Pro­jek­ten wie From Dust, aus dem eini­ge Demons­tra­to­ren auch in der Aus­stel­lung zu sehen sind. Aus­ge­hend von der unge­heu­ren Men­ge Tex­til­ab­fäl­le ent­wi­ckel­ten die bei­den Designer:innen ein Vlies­ma­te­ri­al aus recy­cel­tem Faser­staub und rPET-Fla­schen. Auch am Ende des Recy­cling­pro­zes­ses sei immer noch etwas Ver­wert­ba­res zu ent­de­cken, das teil­wei­se in Kom­bi­na­ti­on mit ande­ren Rest­stof­fen ein Upgrade erhal­ten kann. Im Pro­zess des Gren­ze­naus­tes­tens täten sich, so die Desi­gne­rin, Mög­lich­kei­ten auf, die auf­ge­grif­fen wer­den wollen.

Die­se Her­an­ge­hens­wei­se demons­trier­te sie auch an zwei wei­te­ren Pro­jek­ten: Ter­ra Tale und Refu­sed Mat­ter. Aus loka­len geo­lo­gi­schen Res­sour­cen bzw. aus land­wirt­schaft­li­chen Rest­stof­fen und Neben­pro­duk­ten wer­den Alter­na­ti­ven zu Zement bzw. Beton erforscht. Pro­jek­te wie die­se sei­en ohne inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit nicht mög­lich, unter­strich Krup­ka. Und hilf­reich sei­en zudem För­der­pro­gram­me für Unter­neh­mens­ko­ope­ra­tio­nen, denn klei­ne und mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men könn­ten sich expe­ri­men­tel­le Arbeit oft ein­fach nicht leisten.

Nach­hal­tig­keit bei Mate­ri­al erst seit zehn Jah­ren im Blick

Ver­schie­de­ne Wege von Designer:innen und ihren Mate­ria­li­en bzw. Anwen­dun­gen in den Markt zeig­te Prof. Dr. Sascha Peters, Geschäfst­füh­rer der Bera­tung Hau­te Inno­va­ti­on, anhand zahl­rei­cher Bei­spie­le auf. Seit min­des­tens 20 Jah­ren inter­es­sier­ten sich Designer:innen für Mate­ria­li­en. Nach­hal­tig­keit hät­ten Design und Indus­trie aber erst seit rund zehn Jah­ren im Blick. Und so hät­ten es eini­ge frü­he Ent­wick­lun­gen anfangs recht schwer gehabt. Erst nach und nach habe sich der Erfolg eingestellt.

Anhand einer gro­ßen Fül­le beein­dru­cken­der Bei­spie­le und per­sön­li­chen Sto­ries zeig­te Peters, wie unter­schied­lich die Erfolgs­ge­schich­ten und die Anwen­dun­gen sind. Min­des­tens einen Tipp konn­ten ange­hen­de Designer:innen dabei mit­neh­men: Sport­ar­ti­kel, Mode und Baubranche/Architektur sei­en erfolg­ver­spre­chen­de Berei­che für viel­fäl­ti­ge nach­hal­ti­ge Mate­ri­al­an­wen­dun­gen. Und zwei­fel­los hilf­rei­che sei­en Inku­ba­to­ren­pro­gram­me, auch wenn es die­se anders als in Schwe­den und in Groß­bri­tan­ni­en bis­her nur an weni­gen Design­hoch­schu­len in Deutsch­land gebe.

Wich­tig für die Posi­tio­nie­rung des The­mas der neu­en nach­hal­ti­gen Mate­ria­li­en, dar­in waren sich alle drei Speaker:innen einig, sei­en zwei­fel­los Aus­stel­lun­gen wie „Mate­ri­al+“, denn: „Das The­ma ist zwar zeit­ge­mäß, aber kei­nes­wegs selbst­ver­ständ­lich!“, so Nitz­an Cohen.