21. Mai 2024

Ganz schön verschachtelt …

geht Pack­a­ging auch nachhaltig?
von Bet­ti­na Schulz

„Ver­pa­ckung“ ist in einer auf­ge­heiz­ten und bis­wei­len sehr ideo­lo­gisch geführ­ten Dis­kus­si­on in der Gesell­schaft fast schon zum Syn­onym für schnö­den Müll gewor­den. Und das wird die­ser anspruchs­vol­len Design­dis­zi­plin in kei­ner Wei­se gerecht. Denn neben Pro­dukt­schutz, Logis­tik und Prä­sen­ta­ti­on soll­te nicht ganz ver­ges­sen wer­den, dass der Mensch bei aller Ver­nunft doch eines ist: ein sinn­li­ches Wesen.

Wir brau­chen Orientierung
Eine gute Ver­pa­ckung bie­tet am Ver­kaufs­ort, dem Point of Sale (PoS), vor allem eines: Ori­en­tie­rung. Schließ­lich möch­te ich zunächst wis­sen, wel­ches Pro­dukt von wel­chem Her­stel­ler im Regal steht. Hin­zu kom­men wei­te­re Infor­ma­ti­ons­ebe­nen wie Inhalts­stof­fe im Lebens­mit­tel­be­reich oder aber die ent­hal­te­nen Zube­hör­tei­le bei Gerät­schaf­ten. Bedenkt man jedoch, dass die meis­ten Kauf­ent­schei­dun­gen direkt am PoS getrof­fen wer­den, so ist ein wei­te­rer Aspekt ent­schei­dend: Die Ver­pa­ckung baut aus Gestal­tung, Form­ge­bung und Mate­ri­al­wahl eine emo­tio­na­le Brü­cke, die im bes­ten Fall Unter­neh­mens­wer­te ver­mit­telt. Hier kom­men unse­re urmensch­li­chen Instink­te zum Tra­gen, schließ­lich „be-grei­fen“ wir Din­ge im wahrs­ten Wort­sinn von Geburt an, um sie tat­säch­lich zu verstehen.

Erst, wenn wir etwas in die Hand genom­men haben, sind wir offen­sicht­lich in der Lage, dem Objekt einen Wert bei­zu­mes­sen. Anschau­lich demons­trier­ten dies die Mar­ke­ting­ex­per­tin­nen Joann Peck und Suzan­ne Shu in einer bekann­ten Stu­die: Sie lie­ßen ein Spiel­zeug von Pro­ban­den preis­lich ein­schät­zen – die eine Grup­pe durf­te es sich nur anse­hen, die Teil­neh­men­den der zwei­ten Grup­pe konn­ten es anfas­sen und boten schließ­lich fast einen Dol­lar mehr hier­für. Und da wir zunächst meist nur die Ver­pa­ckung anfas­sen dür­fen, kann dem­zu­fol­ge deren Funk­ti­on als Wert­ver­mitt­ler gar nicht hoch genug ein­ge­schätzt wer­den. Hier­bei gilt es zu beden­ken, dass sich unse­re Para­me­ter der Wert­schät­zung durch­aus wan­deln und über­dies je nach Pro­dukt anders ein­ge­ord­net wer­den. Wie unser ästhe­ti­sches Emp­fin­den, öko­no­mi­sche Ren­ta­bi­li­tät und das Bestre­ben nach mehr Nach­hal­tig­keit im Pack­a­ging­de­sign umge­setzt wird, zei­gen nach­fol­gen­de Beispiele.

Wer­te­wan­del – im Kopf und im Regal
Selbst­ver­ständ­lich wäre es unglaub­wür­dig, käme Cha­nel N°5 in grau­em Steif­kar­ton in den Han­del und umge­kehrt wür­de man mit einer Umver­pa­ckung für ein Bio­pro­dukt mit chan­gie­ren­der Heiß­fo­lie eher kei­ne Plus­punk­te sam­meln. Authen­ti­zi­tät ist wie bei allen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­teln das A und O und das Pack­a­ging ist wie­der­um der oft ers­te und wich­tigs­te Touch­point, um die­se nach außen zu tra­gen. Dies alles gilt auch für die Anstren­gun­gen, die eige­nen Nach­hal­tig­keits­be­stre­bun­gen über die Ver­pa­ckung zu kom­mu­ni­zie­ren. Die Zei­ten des Green­wa­shings schei­nen hier wei­test­ge­hend vor­bei zu sein – zum einen unter­bin­den EU-Vor­ga­ben inzwi­schen (und in Zukunft noch dras­ti­scher) den Eti­ket­ten­schwin­del, zum ande­ren wächst eine kri­ti­sche Käu­fer­schaft her­an, der die ange­spro­che­ne Authen­ti­zi­tät weit­aus wich­ti­ger ist. So mag sich mit einer umwelt­freund­li­chen Ver­pa­ckung nicht in jedem Markt­seg­ment mehr Geld ver­die­nen las­sen, aber in vie­len Fäl­len Geld sparen.

„Aus Konsument:innensicht sta­gniert das The­ma Nach­hal­tig­keit der­zeit zwar etwas, aber im Hin­blick auf die Kon­zep­ti­on von Ver­pa­ckun­gen ist es für Mar­ken wich­ti­ger denn je. Mate­ri­al­ein­satz und Gewicht zu redu­zie­ren, sum­miert sich bei Groß­se­ri­en eben schnell zu beträcht­li­chen Ein­spa­run­gen – und unser Anspruch ist immer, dass dies ohne Abstri­che beim Design und Nut­zungs­er­leb­nis gelingt.“ – Inga Wol­ter, Exe­cu­ti­ve Crea­ti­ve Direc­tor, Peter Schmidt Group

Alles eine Fra­ge des Materials?

Es ist schon ver­hext: Um das Plas­tik­müll­pro­blem in den Griff zu bekom­men, rück­ten Papier und Kar­to­na­gen in den Fokus. Nach diver­sen und eher frag­wür­di­gen Kam­pa­gnen gro­ßer Kon­zer­ne, die sich für die Ein­spa­rung von Papier fei­ern lie­ßen, sind sich Ver­brau­che­rin­nen und Ver­brau­cher in Sachen Pap­pe auch nicht mehr ganz so sicher. Fest steht, es geht weder ohne Kunst­stoff noch ohne Papier. Und wäh­rend die Papier­re­cy­cling­quo­te hier­zu­lan­de bereits bei knapp 80 % liegt, gibt es bei Kunst­stoff dies­be­züg­lich zwar noch Nach­hol­be­darf, doch auch hier wer­den Fort­schrit­te erzielt. Es liegt also viel­leicht viel weni­ger am Mate­ri­al als an der Ver­wer­tung und damit an einem bis­her nicht funk­tio­nie­ren­den geschlos­se­nen Kreislauf.

Hier kann die Design­bran­che natür­lich anset­zen und Ver­pa­ckun­gen mög­lichst aus Mono­ma­te­ri­al oder aber gut trenn­ba­ren Bestand­tei­len kon­zi­pie­ren. Denn auch wenn die Recy­cling­tech­no­lo­gien weit fort­ge­schrit­ten sind und sich bei­spiels­wei­se sogar beschich­te­tes Papier inzwi­schen ver­wer­ten lässt, ist eine, für den Ver­brau­cher klar erkenn­ba­re Mate­ri­al­zu­sam­men­set­zung immer noch die bes­te Lösung. Eine theo­re­ti­sche Recy­cling­mög­lich­keit in der fal­schen Ton­ne bringt uns jeden­falls nicht weiter.

„Prin­zi­pi­ell fin­de ich es sehr scha­de, dass beim Stich­wort Nach­hal­tig­keit immer nur auf das Mate­ri­al gese­hen wird. Es ist aber nicht immer nur das Mate­ri­al. Bei der Ent­wick­lung einer nach­hal­ti­gen Ver­pa­ckung muss man auch die Kon­struk­ti­on berück­sich­ti­gen. Kann ich ohne Kleb­stoff aus­kom­men? Gäbe es eine Wie­der­ver­wen­dungs­mög­lich­keit? Re-Use ist hier­bei sicher­lich eines der kom­men­den The­men.“ – Uwe Melich­ar, Packagingdesigner

Beson­ders schön sind ganz neue Mate­ri­al­ent­wick­lun­gen, die sich die Eigen­schaf­ten natür­li­cher Bestand­tei­le zunut­ze machen. Jüngst prä­sen­tier­te bei­spiels­wei­se Myco4Pack qua­dra­ti­sche Papier­beu­tel gefüllt mit Pilz­my­ze­li­en als öko­lo­gi­sches Füll­ma­te­ri­al für den Ver­sand. Die­se sind nicht nur stoß­fest, son­dern kön­nen auf­grund ihrer Fle­xi­bi­li­tät zudem pass­ge­nau im Ver­sand­kar­ton plat­ziert werden.

Und auch nach Kunst­stoff­er­satz wird fie­ber­haft gesucht. Hier konn­ten bereits 2020 Dr. Anne Lamp und Johan­na Baa­re mit ihrem Unter­neh­men trace­l­ess® einen rie­si­gen Erfolg ver­bu­chen. Fos­sil­frei, bio­ba­siert und aus pflanz­li­chen Rest­stof­fen der Agrar­in­dus­trie her­ge­stellt, kann das von ihnen ent­wi­ckel­te Gra­nu­lat bei­spiels­wei­se in der Ver­pa­ckungs­in­dus­trie zu Form­tei­len, fle­xi­blen Foli­en oder Beschich­tun­gen wei­ter­ver­ar­bei­tet werden.

Ver­pa­ckun­gen mit Mehrwert

Äußerst char­mant sind klug kon­zi­pier­te Ver­pa­ckun­gen, die sich nach der Ver­wen­dung des jewei­li­gen Pro­dukts ander­wei­tig ein­set­zen las­sen. Eine Jubi­lä­ums­edi­ti­on der Gewürz­mi­schung Vege­ta wur­de im ver­gan­ge­nen Jahr bei­spiels­wei­se in einer form­schö­nen und hoch­wer­ti­gen Dose ver­packt, bei der nie­mand auf die Idee käme, sie anschlie­ßend ein­fach zu ent­sor­gen. Dar­über hin­aus sorgt die drei­ecki­ge Pris­ma­form der Umver­pa­ckung mit gestanz­tem Sicht­fens­ter für Auf­merk­sam­keit – als Steck­ver­bin­dung und damit ohne Kleb­stoff kon­zi­piert, ist eine recy­cel­ba­re und nach­hal­ti­ge Lösung gelungen.

„Es ist unmög­lich, für jedes Pro­dukt eine zu 100 % recy­cel­ba­re Ver­pa­ckung her­zu­stel­len. Im Fall von Vegeta&Spirulina ist uns das jedoch gelun­gen. Die Ver­pa­ckung besteht aus Kar­ton sowie Alu­mi­ni­um und ist kleb­stoff­frei, was wir beson­ders schät­zen.“ – Davor Bru­ke­ta, Crea­ti­ve Direc­tor Bruketa&Zinic&Grey

Die innovative Nachfüll-Lösung für Kosmetikprodukte Meadow Daisy Top™ setzt auf bewährte Aluminiumdosen der Getränkeindustrie in einem attraktiven Spender.
Die innovative Nachfüll-Lösung für Kosmetikprodukte Meadow Daisy Top™ setzt auf bewährte Aluminiumdosen der Getränkeindustrie in einem attraktiven Spender.
Die innovative Nachfüll-Lösung für Kosmetikprodukte Meadow Daisy Top™ setzt auf bewährte Aluminiumdosen der Getränkeindustrie in einem attraktiven Spender.
Die innovative Nachfüll-Lösung für Kosmetikprodukte Meadow Daisy Top™ setzt auf bewährte Aluminiumdosen der Getränkeindustrie in einem attraktiven Spender.

Recy­cling­fä­hig­keit

Beim The­ma Nach­hal­tig­keit steht und fällt alles mit einer guten Recyl­cing­fä­hig­keit, wobei das Mate­ri­al hier nur eine Sei­te der Medail­le ist. Die ande­re Sei­te sind ent­spre­chen­de Ver­wer­tungs­sys­te­me sowie prak­ti­sche Lösun­gen, die einen Kreis­lauf mög­lichst effi­zi­ent, kos­ten­güns­tig für den Her­stel­ler und bequem für Kon­su­men­tin­nen und Kon­su­men­ten gestal­ten. Eine Ent­wick­lung aus Groß­bri­tan­ni­en lässt hier auf­hor­chen: Bei Mea­dow Dai­sy Top™ han­delt es sich um eine Nach­füll-Lösung für den Kör­per­pfle­ge- und Beau­ty­sek­tor, die auf einer stan­dar­di­sier­ten Geträn­ke­do­se aus Alu­mi­ni­um basiert. In Kom­bi­na­ti­on mit ent­spre­chen­den Spen­dern für den Haus­ge­brauch las­sen sich die­se Dosen ein­fach ein­set­zen und dank einer paten­tier­ten Ver­sie­ge­lung beim Ver­schlie­ßen des Kor­pus sicher öff­nen. Ein kom­for­ta­bles Hand­ling für Nut­ze­rin­nen und Nut­zer ist dank der ver­trau­ten Form gesetzt. Hier­zu­lan­de lie­ße sich an ein bestehen­des Dosen-Recy­cling­sys­tem ando­cken und auch für Unter­neh­men ist die­se Lösung inter­es­sant. Sie könn­ten die bereits vor­han­de­ne Her­stel­lungs­tech­nik in der Geträn­ke­indus­trie nut­zen und dabei auf Alu­mi­ni­um set­zen, ein Mate­ri­al, das belie­big oft recy­celt wer­den kann.

„Aus der Mar­ken- und Mar­ke­ting­per­spek­ti­ve bie­tet der Spen­der eine neu­ar­ti­ge Platt­form für Mar­ken, um eine dif­fe­ren­zier­te, star­ke Iden­ti­tät zu schaf­fen, da sie sei­ne Form und den Mecha­nis­mus an ihre Mar­ke anpas­sen kön­nen, wäh­rend sie die inter­ne Dai­sy Top­TM-Tech­no­lo­gie inte­grie­ren und eine stan­dar­di­sier­te Nach­füll­kar­tu­sche ver­wen­den.“ ‑Dani­el Bar­nes, Grün­der, manufactured.design

Geht es nur gemeinsam?

Da im Pack­a­ging so vie­le Räd­chen inein­an­der­grei­fen, wird mehr Nach­hal­tig­keit in die­sem Bereich wohl nur über Alli­an­zen mög­lich sein. Hier soll­ten sowohl die Her­stel­lungs- und Recy­cling­pro­zes­se auf­ein­an­der abge­stimmt als auch Mate­ri­al­ent­wick­ler und Krea­ti­ve ein­ge­bun­den wer­den. Dass bei die­sem The­ma Öko­no­mie und Öko­lo­gie aus­ba­lan­ciert wer­den müs­sen, darf zudem weder von Poli­tik noch von der Gesell­schaft ver­ges­sen wer­den. Wie an den Bei­spie­len gut zu sehen ist, sind die Ansät­ze hier­für viel­fäl­tig – ob es die Ent­wick­lung gänz­lich neu­er Mate­ria­li­en oder aber die Nut­zung vor­han­de­ner Recy­cling­sys­te­me sowie recy­cle­ba­rer Roh­stof­fe ist. Intel­li­gen­tes Pack­a­ging­de­sign bedeu­tet jedoch auch, nicht nur das Mate­ri­al im Auge zu behal­ten, son­dern Kon­struk­tio­nen neu zu den­ken. Und letzt­lich sind alle Lösun­gen zugleich eine Auf­for­de­rung an uns Kon­su­men­tin­nen und Kon­su­men­ten, unse­ren Wer­te­maß­stab neu zu kali­brie­ren. Schließ­lich sind wir es, die trotz wach­sen­dem Umwelt­be­wusst­sein ger­ne ver­führt wer­den – eine gänz­li­che unver­pack­te Welt wäre dabei so rea­li­täts­fremd wie sinnesfeindlich …

Lese­tipp: Juli­us Wie­demann (Hg.): The Packa­ge Design Book 7. Köln 2023.

Zitier­emp­feh­lung: Bet­ti­na Schulz (21.05.2024): Ganz schön ver­schach­telt … Geht Pack­a­ging auch nach­hal­tig? https://bayern-design.de/beitrag/ganz-schoen-verschachtelt/

Bet­ti­na Schulz

Bet­ti­na Schulz ist freie Tex­te­rin und Desi­gn­jour­na­lis­tin in Mün­chen. Über 18 Jah­re lang präg­te sie als Chef­re­dak­teu­rin das inter­na­tio­na­le Design­ma­ga­zin novum World of Gra­phic Design, bevor sie 2019 ihr eige­nes Redak­ti­ons­bü­ro grün­de­te. 2006 initi­ier­te sie mit ihrem Redak­ti­ons­team die Crea­ti­ve Paper Con­fe­rence. Heu­te ent­wi­ckelt sie Kun­den­ma­ga­zi­ne, schreibt für ver­schie­de­ne Maga­zi­ne und Agen­tu­ren und betreut Blogs sowie Unter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on für Kun­den aus unter­schied­li­chen Bran­chen. Dar­über hin­aus ist Bet­ti­na Schulz Juro­rin bei zahl­rei­chen Design­wett­be­wer­ben und im Bera­tungs­bei­rat der Müns­ter School of Design, FH Münster.