Ganz schön verschachtelt …
geht Packaging auch nachhaltig?
von Bettina Schulz
„Verpackung“ ist in einer aufgeheizten und bisweilen sehr ideologisch geführten Diskussion in der Gesellschaft fast schon zum Synonym für schnöden Müll geworden. Und das wird dieser anspruchsvollen Designdisziplin in keiner Weise gerecht. Denn neben Produktschutz, Logistik und Präsentation sollte nicht ganz vergessen werden, dass der Mensch bei aller Vernunft doch eines ist: ein sinnliches Wesen.
Wir brauchen Orientierung
Eine gute Verpackung bietet am Verkaufsort, dem Point of Sale (PoS), vor allem eines: Orientierung. Schließlich möchte ich zunächst wissen, welches Produkt von welchem Hersteller im Regal steht. Hinzu kommen weitere Informationsebenen wie Inhaltsstoffe im Lebensmittelbereich oder aber die enthaltenen Zubehörteile bei Gerätschaften. Bedenkt man jedoch, dass die meisten Kaufentscheidungen direkt am PoS getroffen werden, so ist ein weiterer Aspekt entscheidend: Die Verpackung baut aus Gestaltung, Formgebung und Materialwahl eine emotionale Brücke, die im besten Fall Unternehmenswerte vermittelt. Hier kommen unsere urmenschlichen Instinkte zum Tragen, schließlich „be-greifen“ wir Dinge im wahrsten Wortsinn von Geburt an, um sie tatsächlich zu verstehen.
Erst, wenn wir etwas in die Hand genommen haben, sind wir offensichtlich in der Lage, dem Objekt einen Wert beizumessen. Anschaulich demonstrierten dies die Marketingexpertinnen Joann Peck und Suzanne Shu in einer bekannten Studie: Sie ließen ein Spielzeug von Probanden preislich einschätzen – die eine Gruppe durfte es sich nur ansehen, die Teilnehmenden der zweiten Gruppe konnten es anfassen und boten schließlich fast einen Dollar mehr hierfür. Und da wir zunächst meist nur die Verpackung anfassen dürfen, kann demzufolge deren Funktion als Wertvermittler gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Hierbei gilt es zu bedenken, dass sich unsere Parameter der Wertschätzung durchaus wandeln und überdies je nach Produkt anders eingeordnet werden. Wie unser ästhetisches Empfinden, ökonomische Rentabilität und das Bestreben nach mehr Nachhaltigkeit im Packagingdesign umgesetzt wird, zeigen nachfolgende Beispiele.
Wertewandel – im Kopf und im Regal
Selbstverständlich wäre es unglaubwürdig, käme Chanel N°5 in grauem Steifkarton in den Handel und umgekehrt würde man mit einer Umverpackung für ein Bioprodukt mit changierender Heißfolie eher keine Pluspunkte sammeln. Authentizität ist wie bei allen Kommunikationsmitteln das A und O und das Packaging ist wiederum der oft erste und wichtigste Touchpoint, um diese nach außen zu tragen. Dies alles gilt auch für die Anstrengungen, die eigenen Nachhaltigkeitsbestrebungen über die Verpackung zu kommunizieren. Die Zeiten des Greenwashings scheinen hier weitestgehend vorbei zu sein – zum einen unterbinden EU-Vorgaben inzwischen (und in Zukunft noch drastischer) den Etikettenschwindel, zum anderen wächst eine kritische Käuferschaft heran, der die angesprochene Authentizität weitaus wichtiger ist. So mag sich mit einer umweltfreundlichen Verpackung nicht in jedem Marktsegment mehr Geld verdienen lassen, aber in vielen Fällen Geld sparen.
„Aus Konsument:innensicht stagniert das Thema Nachhaltigkeit derzeit zwar etwas, aber im Hinblick auf die Konzeption von Verpackungen ist es für Marken wichtiger denn je. Materialeinsatz und Gewicht zu reduzieren, summiert sich bei Großserien eben schnell zu beträchtlichen Einsparungen – und unser Anspruch ist immer, dass dies ohne Abstriche beim Design und Nutzungserlebnis gelingt.“ – Inga Wolter, Executive Creative Director, Peter Schmidt Group
Alles eine Frage des Materials?
Es ist schon verhext: Um das Plastikmüllproblem in den Griff zu bekommen, rückten Papier und Kartonagen in den Fokus. Nach diversen und eher fragwürdigen Kampagnen großer Konzerne, die sich für die Einsparung von Papier feiern ließen, sind sich Verbraucherinnen und Verbraucher in Sachen Pappe auch nicht mehr ganz so sicher. Fest steht, es geht weder ohne Kunststoff noch ohne Papier. Und während die Papierrecyclingquote hierzulande bereits bei knapp 80 % liegt, gibt es bei Kunststoff diesbezüglich zwar noch Nachholbedarf, doch auch hier werden Fortschritte erzielt. Es liegt also vielleicht viel weniger am Material als an der Verwertung und damit an einem bisher nicht funktionierenden geschlossenen Kreislauf.
Hier kann die Designbranche natürlich ansetzen und Verpackungen möglichst aus Monomaterial oder aber gut trennbaren Bestandteilen konzipieren. Denn auch wenn die Recyclingtechnologien weit fortgeschritten sind und sich beispielsweise sogar beschichtetes Papier inzwischen verwerten lässt, ist eine, für den Verbraucher klar erkennbare Materialzusammensetzung immer noch die beste Lösung. Eine theoretische Recyclingmöglichkeit in der falschen Tonne bringt uns jedenfalls nicht weiter.
„Prinzipiell finde ich es sehr schade, dass beim Stichwort Nachhaltigkeit immer nur auf das Material gesehen wird. Es ist aber nicht immer nur das Material. Bei der Entwicklung einer nachhaltigen Verpackung muss man auch die Konstruktion berücksichtigen. Kann ich ohne Klebstoff auskommen? Gäbe es eine Wiederverwendungsmöglichkeit? Re-Use ist hierbei sicherlich eines der kommenden Themen.“ – Uwe Melichar, Packagingdesigner
Besonders schön sind ganz neue Materialentwicklungen, die sich die Eigenschaften natürlicher Bestandteile zunutze machen. Jüngst präsentierte beispielsweise Myco4Pack quadratische Papierbeutel gefüllt mit Pilzmyzelien als ökologisches Füllmaterial für den Versand. Diese sind nicht nur stoßfest, sondern können aufgrund ihrer Flexibilität zudem passgenau im Versandkarton platziert werden.
Und auch nach Kunststoffersatz wird fieberhaft gesucht. Hier konnten bereits 2020 Dr. Anne Lamp und Johanna Baare mit ihrem Unternehmen traceless® einen riesigen Erfolg verbuchen. Fossilfrei, biobasiert und aus pflanzlichen Reststoffen der Agrarindustrie hergestellt, kann das von ihnen entwickelte Granulat beispielsweise in der Verpackungsindustrie zu Formteilen, flexiblen Folien oder Beschichtungen weiterverarbeitet werden.
Verpackungen mit Mehrwert
Äußerst charmant sind klug konzipierte Verpackungen, die sich nach der Verwendung des jeweiligen Produkts anderweitig einsetzen lassen. Eine Jubiläumsedition der Gewürzmischung Vegeta wurde im vergangenen Jahr beispielsweise in einer formschönen und hochwertigen Dose verpackt, bei der niemand auf die Idee käme, sie anschließend einfach zu entsorgen. Darüber hinaus sorgt die dreieckige Prismaform der Umverpackung mit gestanztem Sichtfenster für Aufmerksamkeit – als Steckverbindung und damit ohne Klebstoff konzipiert, ist eine recycelbare und nachhaltige Lösung gelungen.
„Es ist unmöglich, für jedes Produkt eine zu 100 % recycelbare Verpackung herzustellen. Im Fall von Vegeta&Spirulina ist uns das jedoch gelungen. Die Verpackung besteht aus Karton sowie Aluminium und ist klebstofffrei, was wir besonders schätzen.“ – Davor Bruketa, Creative Director Bruketa&Zinic&Grey
Recyclingfähigkeit
Beim Thema Nachhaltigkeit steht und fällt alles mit einer guten Recylcingfähigkeit, wobei das Material hier nur eine Seite der Medaille ist. Die andere Seite sind entsprechende Verwertungssysteme sowie praktische Lösungen, die einen Kreislauf möglichst effizient, kostengünstig für den Hersteller und bequem für Konsumentinnen und Konsumenten gestalten. Eine Entwicklung aus Großbritannien lässt hier aufhorchen: Bei Meadow Daisy Top™ handelt es sich um eine Nachfüll-Lösung für den Körperpflege- und Beautysektor, die auf einer standardisierten Getränkedose aus Aluminium basiert. In Kombination mit entsprechenden Spendern für den Hausgebrauch lassen sich diese Dosen einfach einsetzen und dank einer patentierten Versiegelung beim Verschließen des Korpus sicher öffnen. Ein komfortables Handling für Nutzerinnen und Nutzer ist dank der vertrauten Form gesetzt. Hierzulande ließe sich an ein bestehendes Dosen-Recyclingsystem andocken und auch für Unternehmen ist diese Lösung interessant. Sie könnten die bereits vorhandene Herstellungstechnik in der Getränkeindustrie nutzen und dabei auf Aluminium setzen, ein Material, das beliebig oft recycelt werden kann.
„Aus der Marken- und Marketingperspektive bietet der Spender eine neuartige Plattform für Marken, um eine differenzierte, starke Identität zu schaffen, da sie seine Form und den Mechanismus an ihre Marke anpassen können, während sie die interne Daisy TopTM-Technologie integrieren und eine standardisierte Nachfüllkartusche verwenden.“ ‑Daniel Barnes, Gründer, manufactured.design
Geht es nur gemeinsam?
Da im Packaging so viele Rädchen ineinandergreifen, wird mehr Nachhaltigkeit in diesem Bereich wohl nur über Allianzen möglich sein. Hier sollten sowohl die Herstellungs- und Recyclingprozesse aufeinander abgestimmt als auch Materialentwickler und Kreative eingebunden werden. Dass bei diesem Thema Ökonomie und Ökologie ausbalanciert werden müssen, darf zudem weder von Politik noch von der Gesellschaft vergessen werden. Wie an den Beispielen gut zu sehen ist, sind die Ansätze hierfür vielfältig – ob es die Entwicklung gänzlich neuer Materialien oder aber die Nutzung vorhandener Recyclingsysteme sowie recyclebarer Rohstoffe ist. Intelligentes Packagingdesign bedeutet jedoch auch, nicht nur das Material im Auge zu behalten, sondern Konstruktionen neu zu denken. Und letztlich sind alle Lösungen zugleich eine Aufforderung an uns Konsumentinnen und Konsumenten, unseren Wertemaßstab neu zu kalibrieren. Schließlich sind wir es, die trotz wachsendem Umweltbewusstsein gerne verführt werden – eine gänzliche unverpackte Welt wäre dabei so realitätsfremd wie sinnesfeindlich …
Lesetipp: Julius Wiedemann (Hg.): The Package Design Book 7. Köln 2023.
Zitierempfehlung: Bettina Schulz (21.05.2024): Ganz schön verschachtelt … Geht Packaging auch nachhaltig? https://bayern-design.de/beitrag/ganz-schoen-verschachtelt/
Bettina Schulz ist freie Texterin und Designjournalistin in München. Über 18 Jahre lang prägte sie als Chefredakteurin das internationale Designmagazin novum World of Graphic Design, bevor sie 2019 ihr eigenes Redaktionsbüro gründete. 2006 initiierte sie mit ihrem Redaktionsteam die Creative Paper Conference. Heute entwickelt sie Kundenmagazine, schreibt für verschiedene Magazine und Agenturen und betreut Blogs sowie Unternehmenskommunikation für Kunden aus unterschiedlichen Branchen. Darüber hinaus ist Bettina Schulz Jurorin bei zahlreichen Designwettbewerben und im Beratungsbeirat der Münster School of Design, FH Münster.