Biofabrikation
Werkstoffe der Zukunft
von Sarah Dorkenwald
Nachwachsende Rohstoffe wie pflanzliche Fasern, Mikroalgen, Pilzmyzelien oder Bakterien und organische Reststoffe aus der Lebensmittelindustrie wie Hülsen und Schalen können mittlerweile durch technische Verfahren in innovative und voll funktionsfähige Werkstoffe umgewandelt werden. Mit ihren vergleichbaren Eigenschaften, Funktionen und Ästhetik bieten sie eine vielversprechende Alternative zu konventionellen, auf fossilen Brennstoffen basierten Materialien, vor allem in Hinblick auf kreislauffähige Produktlösungen.
Gerade Designer:innen haben mit ihrem experimentierfreudigen Forscherdrang wichtige Impulse in der biobasierten Materialentwicklung gesetzt. Ihre Fähigkeit sowohl neue Wege in der Materialforschung einzuschlagen als auch die Anforderungen der Produktion, der Industrie und des Marktes im Blick zu haben sowie nutzerzentrierte Anwendungen zu erdenken, tragen wichtige Grundlagen für die Entwicklung der Biofabrikation bei. Wissenschaft und Wirtschaft im Zusammenschluss mit Design haben Produktionsformen und Nutzungen für Biomaterialien entwickelt, die immer häufiger die Biodiversität der Natur für den Einsatz von Materialien erschließen.
Organische Rohstoffe – die natürliche Biodiversität nutzen
Zum Beispiel hat der italienische Designer Maurizio Montalti in jahrelanger, selbstinitiierter Forschung ein Verfahren entwickelt, bei dem Pilzsporen, sogenannte Myzelien, ein geformtes Substrat aus industriell-landwirtschaftlichen Abfällen in einem kontrollierten Prozess besiedeln, bis ihrem Wachstum durch Erhitzen ein Ende gesetzt wird. Dabei entstehen samtig weiche, eierschalenfarbige Elemente, die eine eigenständige Typologie und Materialästhetik aufweisen.
Mit seinem Start-Up Mogu hat er diese Form der Materialherstellung unter anderem als Akustikpaneele zur Marktreife gebracht. Aber Montalti erforscht nicht nur konkrete Anwendungen für Myzelium-basierte Materialien. Mit der Schuhdesignerin Liz Ciokajlo hat er im Auftrag des Museum of Modern Art New York einen Marsstiefel entworfen, mit dem er darüber spekuliert, ob bei einer zukünftigen Marsmission die dort benötigten Alltagsgegenstände während der Reise aus Pilzmyzelien gezüchtet werden könnten.
Auch der Münchner Unternehmer Sebastian Thies hat sich für die Entwicklung eines nachhaltigen Turnschuhs die Natur zu Eigen gemacht. Er vertreibt mit seiner Marke nat‑2™ vegane Schuhe aus Pilzleder. Hergestellt wird das Material aus dem Zunder-Baumpilz. Das Basis-Material hierzu wird von der Berliner Designerin Nina Fabert geliefert. Mit ihrem Label Zvnder entwickelte sie ein eher aufwendiges Verfahren, bei dem der Zunderschwamm, der als Parasit an geschwächten Bäumen wie Birken und Buchen, sowie an Totholz wächst, getrocknet, geschält und dann von Hand zu einem lederartigen Material weiterverarbeitet wird. Als Komposit aus Biotextilien und Pilzleder kommt er bei den Sneakermodellen von Thies zum Einsatz.
Neben dem Verzicht auf Tierhaut hat der Zunderschwamm weitere positive Eigenschaften: So ist die Nutzung chemikalienfrei und er wirkt antiseptisch und antibakteriell. In Kombination mit anderen innovativen, hochwertigen Materialien wie Korkinnensohlen, Biobaumwoll-Frottee, Microfaser-Velour aus recycleten PET-Flaschen und Echtgummisohlen verleiht der Baumpilz den Schuhen ihren eigenen unverkennbaren Stil.
Lebende Materialien aus Mikroorganismen
Auch die Entwicklung von Produktionsprozessen auf der Basis von Mikroorganismen und Enzymen eröffnen neue Ansätze für die Herstellung von Materialien. Hierbei macht man sich Fermentierungs- bzw. Vergärungsprozesse zu eigen, wie man sie zum Beispiel aus der Erzeugung von Alkohol, Milchprodukten oder dem Kombucha-Getränk kennt. Diese komplexe Stoffumwandlung kann mittlerweile für eine gezielte und kontrollierte Herstellung von Materialien eingesetzt werden.
Das Unternehmen AMSilk aus Bayern erforschte ein Verfahren, bei dem gentechnisch veränderte Mikroben Spinnenseide mit den spezifischen Eigenschaften eines Spinnenfadens herstellen. Das aus Bakterien hergestellte Material ist leicht und fest und zugleich biologisch abbaubar und ressourcenschonend herstellbar. Diese biotechnologisch hergestellten Materialien aus lebender Materie, die sich mit spezifischen Eigenschaften programmieren lassen, sollen künftig Alternativen zu Materialien tierischen Ursprungs bieten und weitere natürliche Ressourcen ersetzen, die zwar nachwachsen, aber oft in agrarindustriellen Monokulturen erzeugt werden und damit der biologischen Vielfalt schaden und endliche Ressourcen erschöpfen.
Abfälle als natürliche Ressource
Interessant wird es, wenn organische Reststoffe aus der Landwirtschaft zur Herstellung biobasierter Materialien genutzt werden. Hier gibt es mittlerweile viele neue technische Ansätze, die es zur Marktreife gebracht haben, wie Taschen aus Piñatex, einem Vliesstoff hergestellt aus Ananasblattfasern, QMilk, eine Textilfaser aus Milchabfällen der Lebensmittelindustrie entwickelt von der Mikrobiologin und Modedesignerin Anke Domaske, Leder aus Fischhäuten von Femer, einem Unternehmen der Französin Marielle Philip.
Aber auch Kaffeesatz oder Reishülsen können mittlerweile zu Textilien weiter verarbeitet werden. Wertvoll sind diese neuen Materialinnovationen im Vorantreiben einer „Circular Economy“, bei der im besten Fall überhaupt kein Müll mehr anfällt, indem Reststoffe nicht deponiert oder verbrannt, sondern vollständig in den Produktionskreislauf rückgeführt werden.
Das Meer als alternative Produktionsstätte
Auch Algen werden viele umweltfreundliche Potenziale zugesprochen. Sie lassen sich vielfältig nutzen, ohne dabei Flächen, die bereits für die Lebensmittelproduktion gebraucht werden, zu besetzen. Der Rohstoff ist unter ökologischen Gesichtspunkten interessant, da er schnell wächst und dabei CO2 absorbiert. Luma Atelier aus Arles züchtet Mikroalgen im Meer für die Herstellung von farbenfrohen formschönen Algenfliesen, wodurch ein biobasiertes Produkt auch einem ökologisch vorteilhafteren Produktionsverfahren unterliegt. Der mit Algen angereicherte Biokunststoff, aus dem die Fliesen in einem industriellen Injektionsverfahren geformt werden, kann als Wandverkleidung im Innen- wie Außenbereich eingesetzt werden.
Luma Atelier werden auch in der bayern design Ausstellung Material+ vertreten sein, die in Kooperation mit dem Neuen Museum Nürnberg ab April 2022 zu sehen ist.
Gestalter:innen nehmen eine Schlüsselrolle ein
Wenn es darum geht, neuartige Materialien einem breiten Publikum näherzubringen, kommt der Gestaltung eine Schlüsselrolle zu. An der Schnittstelle zwischen Entwicklung und Anwendung arbeitet auch Suzanne Lee, die bei dem in New York ansässigen Unternehmen Modern Meadows für das Design verantwortlich ist und darüber hinaus das internationale Branchentreffen „Biofabricate“ für Biotechnologien an der Schnittstelle zu Design und Industrie gegründet hat. Modern Meadows arbeitet mit Kollagenfasern, die aus tierischen Zellen gewonnen werden und züchtet daraus unter dem Markennamen ZOA ein lederähnliches Material im Labor.
Diese DNA-basierte Gewebezüchtung zählt, ähnlich wie die aus Spinnenseidenprotein gewonnenen Polymere, zu den jüngsten Entwicklungen der Materialforschung. Die britische Modedesignerin Stella McCartney hat bereits ein sonnengelbes Kleid aus dieser sogenannten Spinnenseide entworfen, das Outdoor-Label The North Face hat sich die ungewöhnlichen Materialeigenschaften zu Nutze gemacht, um einen gleichzeitig leichten und dabei äußerst robusten Parka auf den Markt zu bringen. Und auch das bayerische Unternehmen adidas stellt Sneaker aus dem Garn her und kann so bis zu 15% Gewicht gegenüber herkömmlichen Turnschuhen einsparen.
Über neuartige Anwendungen nachdenken kann man auch durch Teilnahme in den Polyphonic Futures Workshops der Künstlerin und Designerin Veronica Ranner, die als Professorin an der Nanyang Technological University in Singapur die Potenziale der Bio-Digitalität und Biomaterialien erforscht. In ihrem Singapurer Studio und in München entwickelt sie die Biodesignpraxis und ‑forschung weiter, zum Beispiel anhand von reverse-engineered silk („wiederverflüssigter“ Seide). Dieses Smart Material wird als eines der wenigen dieser Typologie nicht vom menschlichen Gewebe abgestoßen, sondern vollständig absorbiert und eröffnet damit bis dato unbekannte Einsatzmöglichkeiten in und am Körper. Es kann als Knochen- und Gewebeersatz dienen, aber auch in Form von Biosensoren eine digitale Schnittstelle zum Körper herstellen. Damit wird ein Spektrum an neuartigen tragbaren oder implantierbaren Geräten denkbar.
Zitierempfehlung: Sarah Dorkenwald (21.12.2022): Biofabrikation. Werkstoffe der Zukunft https://bayern-design.de/beitrag/biofabrikation/
Die diplomierte (Univ) Designerin Sarah Dorkenwald praktiziert in ihrer gestalterischen wie theoretischen Arbeit eine kritische Designhaltung. Im Austausch mit anderen Disziplinen hinterfragt sie gängige Herangehensweisen und gesellschaftliche Konventionen und möchte mit aktuellen Positionen im Design Alternativen im Umgang mit Ressourcen, Produktion und Verteilung sowie des Zusammenlebens aufzeigen. Sie ist Professorin an der Hochschule für Kommunikation und Gestaltung in Ulm. Zusammen mit der Designtheoretikerin Karianne Fogelberg hat Sarah Dorkenwald das Münchner Studio UnDesignUnit gegründet. Sie vereinen Kompetenzen und Methoden aus dem Design und der Designtheorie und arbeiten an der Schnittstelle zu anderen Disziplinen und Wissensformen. Sarah Dorkenwald schreibt regelmäßig für Designzeitschriften sowie Fachpublikationen.