von Sarah Dorkenwald

Auch in Zukunft wer­den wir Men­schen Pro­duk­te ent­wer­fen und nut­zen. Sie sol­len schön und erschwing­lich sein und den All­tag erleich­tern. Sie ste­hen für Sta­tus oder Unab­hän­gig­keit. Wir Men­schen erfin­den, pro­du­zie­ren und kon­su­mie­ren ger­ne und wer­den es immer tun. Um die­se Din­ge, die unse­re Wün­sche und Bedürf­nis­se erfül­len, her­stel­len zu kön­nen, aber auch, um unser Leben zu sichern, benö­ti­gen wir Ener­gie – viel Ener­gie. Der welt­wei­te Hun­ger danach ist enorm und unauf­halt­sam am Wach­sen. Des­we­gen wer­den Lösun­gen benö­tigt, die den stei­gen­den Ener­gie­be­darf auch in Zukunft decken und gleich­zei­tig aus der Kli­ma- und Ener­gie­kri­se führen.

Die Außenhaut des Sion besteht aus 456 nahtlos integrierten Solar-Halbzellen und ermöglicht die autonome Energieversorgung auf kurzen Strecken (Copyright: Sono Motors)
Die Außenhaut des Sion besteht aus 456 nahtlos integrierten Solar-Halbzellen und ermöglicht die autonome Energieversorgung auf kurzen Strecken (Copyright: Sono Motors)
Mit dem Solar Bus Kit können Systeme wie etwa die Klimaanlage teilweise mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Das spart Kraftstoff, CO2 und auch Kosten (Copyright: Sono Motors)
Mit dem Solar Bus Kit können Systeme wie etwa die Klimaanlage teilweise mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Das spart Kraftstoff, CO2 und auch Kosten (Copyright: Sono Motors)

Dekar­bo­ni­sie­rung und Dezentralisierung
Eine gro­ße Chan­ce bei der Gestal­tung einer umwelt­ver­träg­li­chen und den Welt­frie­den sta­bi­li­sie­ren­de Kli­ma­wen­de ist nicht nur die Dekar­bo­ni­sie­rung, son­dern auch die Dezen­tra­li­sie­rung der Ener­gie­sys­te­me. Gera­de Son­nen­licht und Wind, als die größ­ten erneu­er­ba­ren Ener­gie­lie­fe­ran­ten, flan­kiert von Was­ser­kraft, Bio­mas­se und Geo­ther­mie, ste­hen uns kos­ten­los welt­weit zur Ver­fü­gung und auch die rege­ne­ra­ti­ven Ener­gie­tech­no­lo­gien zur Nut­zung und Spei­che­rung die­ser Res­sour­cen wer­den immer erschwing­li­cher. Es soll­te also kei­nen Grund mehr geben, die Ener­gie­er­zeu­gung und ‑ver­sor­gung voll­stän­dig in den Hän­den eini­ger weni­ger Groß­un­ter­neh­men zu belas­sen. Top-down-Sys­te­me haben noch nie Raum für radi­ka­le Ver­än­de­run­gen gebo­ten. Auch die baye­ri­sche Ener­gie­po­li­tik baut auf Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, Kom­mu­nen und Unter­neh­men und deren Bereit­schaft, loka­le Wert­schöp­fungs­sys­te­me zu entwickeln.

Hier kann das Design im Zusam­men­wir­ken mit ande­ren Dis­zi­pli­nen und Zukunfts­tech­no­lo­gien eine ent­schei­den­de Rol­le spie­len, um Inno­va­tio­nen zu för­dern, mit denen eine nach­hal­ti­ge, siche­re und bezahl­ba­re Ener­gie­wen­de gelin­gen kann. Ein zukunfts­wei­sen­der Ansatz ist das Ent­wi­ckeln von Kreis­lauf­sys­te­men, wor­an das Münch­ner Start­up Sono Motors schon seit län­ge­rem forscht und vor­macht wie eine kli­ma­freund­li­che Mobi­li­tät funk­tio­nie­ren kann. Das Team aus Ingenieur:innen, Designer:innen, Techniker:innen und Industrieexpert:innen hat das all­tags­taug­li­che Elek­tro­au­to Sino, das sich mit pass­ge­nau inte­grier­ten Solar­zel­len auf der Karos­se­rie­ober­flä­che selbst über die Ener­gie der Son­ne lädt, zur Markt­rei­fe gebracht. 2023 sol­len die ers­ten Sinos auf unse­ren Stra­ßen rol­len, natür­lich nur mit rege­ne­ra­ti­ver Ener­gie her­ge­stellt und eher zum Tei­len als zum Besit­zen gedacht.

Die vom Unter­neh­men ent­wi­ckel­ten Solar­pa­nel ermög­li­chen aber auch eine naht­lo­se Inte­gra­ti­on in alle Fahr­zeug­ty­pen, wodurch auch bestehen­de Fahr­zeu­ge mit Solar­pa­nels aus­ge­stat­tet wer­den kön­nen. Das Solar Bus Kit ist eine kom­plet­te und effi­zi­en­te Solar-Nach­rüst­lö­sung für Die­sel-Bus­se. Opti­miert für die gän­gigs­ten 12-Meter-Bus­ty­pen, die man aus dem öffent­li­chen Ver­kehrs­sys­tem kennt, leis­tet das Kit einen wert­vol­len Bei­trag Die­sel­ver­brauch und CO2-Emis­sio­nen zu redu­zie­ren und dadurch die Nach­hal­tig­keits­zie­le schnel­ler zu erreichen.

 

Die niederländische Designerin Ermi van Oers nutzt den Photosyntheseprozess lebender Pflanzen als Energiequelle (Copyright: Ermi van Oers)
Die niederländische Designerin Ermi van Oers nutzt den Photosyntheseprozess lebender Pflanzen als Energiequelle (Copyright: Ermi van Oers)
Auch die Frei-Form-Module aus organischer Photovoltaik-Folie des bayerischen Unternehmens Opvius, das mittlerweile von dem französischen Konzern Armor übernommen wurde, bieten nachhaltige wie ästhetische Architekturlösungen - wie dem Deutschen Pavillon der EXPO 2015 in Mailand.
Auch die Frei-Form-Module aus organischer Photovoltaik-Folie des bayerischen Unternehmens Opvius, das mittlerweile von dem französischen Konzern Armor übernommen wurde, bieten nachhaltige wie ästhetische Architekturlösungen - wie dem Deutschen Pavillon der EXPO 2015 in Mailand.

Gestal­tung und Solar­ener­gie sind kein Widerspruch
Es lohnt sich, zur Stei­ge­rung der Nut­zung rege­ne­ra­ti­ver Ener­gien auch Berei­che in den Fokus zu rücken, die bis­lang kei­ne hohe Bedeu­tung hat­ten, wie zum Bei­spiel das Gewin­nen von Solar­ener­gie durch Fahr­zeug­ober­flä­chen. Aber auch Fahr­rad- und Fuß­we­ge oder Glas­schei­ben kön­nen dazu die­nen, Son­nen­licht in Ener­gie umzuwandeln.

Die nie­der­län­di­sche Fir­ma Solar­Road inte­griert Solar­mo­du­le in Beton­ele­men­te, die mit einer zen­ti­me­ter­di­cken Schicht aus Sicher­heits­glas geschützt wer­den. Die­se Bau­stei­ne wer­den auf Rad­we­gen ver­baut und die gewon­ne­ne Ener­gie in das Strom­netz ein­ge­speist. Span­nend wird es dann, wenn die­ser Strom auch direkt für den Antrieb dar­auf fah­ren­der E‑Roller oder E‑Bikes genutzt wer­den kann. Aber auch der Auf­wand für den Betrieb, die Instand­hal­tung und Repa­ra­tur muss bei sol­chen Zukunfts­kon­zep­ten mit­ge­dacht und geprüft werden.

Das ame­ri­ka­ni­sche Unter­neh­men Ubi­qui­tous Ener­gy hat eine Tech­no­lo­gie ent­wi­ckelt, mit der auch Fens­ter und Glas­fas­sa­den als Ener­gie­pro­du­zen­ten genutzt wer­den kön­nen, ohne dass die smar­ten Solar­fens­ter sich von kon­ven­tio­nel­len unter­schei­den. Eine wich­ti­ge Mate­ri­alin­no­va­ti­on, die sowohl zur Redu­zie­rung der CO2-Emis­sio­nen in der Bau­in­dus­trie bei­trägt als auch hilft, den gestei­ger­ten Ener­gie­be­darf von Smart-Home-Sys­te­men abzudecken.

Auch die Frei-Form-Modu­le aus orga­ni­scher Pho­to­vol­ta­ik-Folie des baye­ri­schen Unter­neh­mens Opvi­us (inzwi­schen ASCA), das mitt­ler­wei­le von dem fran­zö­si­schen Kon­zern Armor über­nom­men wur­de, bie­ten nach­hal­ti­ge wie ästhe­ti­sche Archi­tek­tur­lö­sun­gen, bei denen die Archi­tek­tur die For­men­spra­che des Pho­to­vol­ta­ik­sys­tems vor­gibt und nicht umge­kehrt eine vor­han­de­ne Tech­nik das Aus­se­hen von Gebäu­den und Fas­sa­den bestimmt. Dass sich dar­aus ganz neue Bau­ty­po­lo­gien ent­wi­ckeln kön­nen, zei­gen die Solar-Bäu­me des Deut­schen Pavil­lon der EXPO 2015 in Mai­land, bei dem die­ses orga­ni­sche Pho­to­vol­ta­ik­sys­tem zur Anwen­dung kam.

Wie unab­hän­gi­ge Ener­gie­kreis­läu­fe im Gro­ßen wie im Klei­nen einen Mehr­wert gene­rie­ren, zeigt auch die Desi­gne­rin Mar­jan van Aubel, die sich schon lan­ge mit den Mög­lich­kei­ten befasst, Solar­tech­no­lo­gie in All­tags­ge­gen­stän­de zu inte­grie­ren. Bei ihrer Solar­glas-Kol­lek­ti­on ist jedes Trink­ge­fäß mit inte­grier­ten Solar­zel­len aus­ge­stat­tet. In einer spe­zi­ell ent­wor­fe­nen Vitri­ne zur Auf­be­wah­rung der Gefä­ße wird die Ener­gie über­tra­gen und gespei­chert. Wie eine Bat­te­rie kann das Möbel­stück Strom abge­ben, zum Bei­spiel für das Auf­la­den von Elek­tro­ge­rä­ten im pri­va­ten Haushalt.

Auch die mikro­biel­le Brenn­stoff­zel­len­tech­no­lo­gie bie­tet wei­te­re Mög­lich­kei­ten eines Off-Grid-Ener­gie­sys­tems. Hier­bei soll der natür­li­che Pho­to­syn­the­se­pro­zess leben­der Pflan­zen als Ener­gie­quel­le genutzt wer­den, um sau­be­ren Strom zu erzeu­gen. Eine bezau­bern­de Vor­stel­lung, wenn städ­ti­sche Parks und Grün­flä­chen sich in Zukunft zu aut­ar­ken Licht­quel­len ver­wan­deln und uns in jeg­li­cher Hin­sicht den Weg weisen.

Verlegung der LumoBags in der Wüste (Copyright Science Moonshot & N+P Innovation Design)
Verlegung der LumoBags in der Wüste (Copyright Science Moonshot & N+P Innovation Design)
Verlegung der LumoBags in der Wüste (Copyright Science Moonshot & N+P Innovation Design)
LumoBag C Science Moonshot N+P Innovation Design
LumoBag C Science Moonshot N+P Innovation Design

Design zur Küh­lung der Erde
Noch ganz frisch und roh – und den­noch kraft­voll – ist die Idee der Lum­o­bags, einem Pro­jekt, das im Rah­men des inter­dis­zi­pli­nä­ren Inno­va­tions-Work­shops „Sci­ence Moonshot“ wäh­rend der MCBW 2022 unter Betei­li­gung des Münch­ner Design­stu­di­os N+P kon­zi­piert wur­de. Bei die­ser Visi­on wer­den alu­mi­ni­um­be­schich­te­te Sand­sä­cke welt­weit auf gro­ßen Flä­chen plat­ziert. Mit­hil­fe der Lum­o­bags soll genü­gend Son­nen­en­er­gie reflek­tiert wer­den, um dem CO2-beding­ten Treib­haus­ef­fekt ent­ge­gen­zu­wir­ken. Viel­leicht ein wei­te­res zukünf­ti­ges Pro­jekt, dass im Zusam­men­spiel mit vie­len ande­ren einen Bei­trag zur Bewäl­ti­gung der Kli­ma- und Ener­gie­kri­se leis­ten kann, auch wenn die Entwickler:innen und Designer:innen es nur als Brü­cken­tech­no­lo­gie ver­ste­hen, die der Gesell­schaft zumin­dest eine Atem­pau­se bei der Kli­ma­er­wär­mung ver­schaf­fen soll.

Sicher ist, wir brau­chen noch vie­le Ideen, Kon­zep­te und Visio­nen, die nur in einem stän­di­gen Wis­sens­trans­fer, Bot­tom-up Stra­te­gien und inter­na­tio­na­ler Ver­net­zung eine posi­ti­ve Wirk­macht ent­fal­ten wer­den. Aber Kri­sen haben ja bekannt­li­cher­wei­se die Mensch­heit schon immer zu neu­en Inno­va­tio­nen und gro­ßen Erfin­dun­gen beflügelt.

Portrait Sarah Dorkenwald (Foto: Anna Seibel)
Sarah Dor­ken­wald (Foto: Anna Seibel)

Die diplo­mier­te (Univ) Desi­gne­rin Sarah Dor­ken­wald prak­ti­ziert in ihrer gestal­te­ri­schen wie theo­re­ti­schen Arbeit eine kri­ti­sche Design­hal­tung. Im Aus­tausch mit ande­ren Dis­zi­pli­nen hin­ter­fragt sie gän­gi­ge Her­an­ge­hens­wei­sen und gesell­schaft­li­che Kon­ven­tio­nen und möch­te mit aktu­el­len Posi­tio­nen im Design Alter­na­ti­ven im Umgang mit Res­sour­cen, Pro­duk­ti­on und Ver­tei­lung sowie des Zusam­men­le­bens auf­zei­gen. Sie ist Pro­fes­so­rin an der Hoch­schu­le für Kom­mu­ni­ka­ti­on und Gestal­tung in Ulm. Zusam­men mit der Design­theo­re­ti­ke­rin Kari­an­ne Fogel­berg hat Sarah Dor­ken­wald das Münch­ner Stu­dio UnDe­sign­U­nit gegrün­det. Sie ver­ei­nen Kom­pe­ten­zen und Metho­den aus dem Design und der Design­theo­rie und arbei­ten an der Schnitt­stel­le zu ande­ren Dis­zi­pli­nen und Wis­sens­for­men. Sarah Dor­ken­wald schreibt regel­mä­ßig für Design­zeit­schrif­ten sowie Fachpublikationen.