Energiewende gestalten
Gestalterische Beiträge zur Linderung der Klima- und Energiekrise
von Sarah Dorkenwald
Auch in Zukunft werden wir Menschen Produkte entwerfen und nutzen. Sie sollen schön und erschwinglich sein und den Alltag erleichtern. Sie stehen für Status oder Unabhängigkeit. Wir Menschen erfinden, produzieren und konsumieren gerne und werden es immer tun. Um diese Dinge, die unsere Wünsche und Bedürfnisse erfüllen, herstellen zu können, aber auch, um unser Leben zu sichern, benötigen wir Energie – viel Energie. Der weltweite Hunger danach ist enorm und unaufhaltsam am Wachsen. Deswegen werden Lösungen benötigt, die den steigenden Energiebedarf auch in Zukunft decken und gleichzeitig aus der Klima- und Energiekrise führen.
Dekarbonisierung und Dezentralisierung
Eine große Chance bei der Gestaltung einer umweltverträglichen und den Weltfrieden stabilisierende Klimawende ist nicht nur die Dekarbonisierung, sondern auch die Dezentralisierung der Energiesysteme. Gerade Sonnenlicht und Wind, als die größten erneuerbaren Energielieferanten, flankiert von Wasserkraft, Biomasse und Geothermie, stehen uns kostenlos weltweit zur Verfügung und auch die regenerativen Energietechnologien zur Nutzung und Speicherung dieser Ressourcen werden immer erschwinglicher. Es sollte also keinen Grund mehr geben, die Energieerzeugung und ‑versorgung vollständig in den Händen einiger weniger Großunternehmen zu belassen. Top-down-Systeme haben noch nie Raum für radikale Veränderungen geboten. Auch die bayerische Energiepolitik baut auf Bürgerinnen und Bürger, Kommunen und Unternehmen und deren Bereitschaft, lokale Wertschöpfungssysteme zu entwickeln.
Hier kann das Design im Zusammenwirken mit anderen Disziplinen und Zukunftstechnologien eine entscheidende Rolle spielen, um Innovationen zu fördern, mit denen eine nachhaltige, sichere und bezahlbare Energiewende gelingen kann. Ein zukunftsweisender Ansatz ist das Entwickeln von Kreislaufsystemen, woran das Münchner Startup Sono Motors schon seit längerem forscht und vormacht wie eine klimafreundliche Mobilität funktionieren kann. Das Team aus Ingenieur:innen, Designer:innen, Techniker:innen und Industrieexpert:innen hat das alltagstaugliche Elektroauto Sino, das sich mit passgenau integrierten Solarzellen auf der Karosserieoberfläche selbst über die Energie der Sonne lädt, zur Marktreife gebracht. 2023 sollen die ersten Sinos auf unseren Straßen rollen, natürlich nur mit regenerativer Energie hergestellt und eher zum Teilen als zum Besitzen gedacht.
Die vom Unternehmen entwickelten Solarpanel ermöglichen aber auch eine nahtlose Integration in alle Fahrzeugtypen, wodurch auch bestehende Fahrzeuge mit Solarpanels ausgestattet werden können. Das Solar Bus Kit ist eine komplette und effiziente Solar-Nachrüstlösung für Diesel-Busse. Optimiert für die gängigsten 12-Meter-Bustypen, die man aus dem öffentlichen Verkehrssystem kennt, leistet das Kit einen wertvollen Beitrag Dieselverbrauch und CO2-Emissionen zu reduzieren und dadurch die Nachhaltigkeitsziele schneller zu erreichen.
Gestaltung und Solarenergie sind kein Widerspruch
Es lohnt sich, zur Steigerung der Nutzung regenerativer Energien auch Bereiche in den Fokus zu rücken, die bislang keine hohe Bedeutung hatten, wie zum Beispiel das Gewinnen von Solarenergie durch Fahrzeugoberflächen. Aber auch Fahrrad- und Fußwege oder Glasscheiben können dazu dienen, Sonnenlicht in Energie umzuwandeln.
Die niederländische Firma SolarRoad integriert Solarmodule in Betonelemente, die mit einer zentimeterdicken Schicht aus Sicherheitsglas geschützt werden. Diese Bausteine werden auf Radwegen verbaut und die gewonnene Energie in das Stromnetz eingespeist. Spannend wird es dann, wenn dieser Strom auch direkt für den Antrieb darauf fahrender E‑Roller oder E‑Bikes genutzt werden kann. Aber auch der Aufwand für den Betrieb, die Instandhaltung und Reparatur muss bei solchen Zukunftskonzepten mitgedacht und geprüft werden.
Das amerikanische Unternehmen Ubiquitous Energy hat eine Technologie entwickelt, mit der auch Fenster und Glasfassaden als Energieproduzenten genutzt werden können, ohne dass die smarten Solarfenster sich von konventionellen unterscheiden. Eine wichtige Materialinnovation, die sowohl zur Reduzierung der CO2-Emissionen in der Bauindustrie beiträgt als auch hilft, den gesteigerten Energiebedarf von Smart-Home-Systemen abzudecken.
Auch die Frei-Form-Module aus organischer Photovoltaik-Folie des bayerischen Unternehmens Opvius (inzwischen ASCA), das mittlerweile von dem französischen Konzern Armor übernommen wurde, bieten nachhaltige wie ästhetische Architekturlösungen, bei denen die Architektur die Formensprache des Photovoltaiksystems vorgibt und nicht umgekehrt eine vorhandene Technik das Aussehen von Gebäuden und Fassaden bestimmt. Dass sich daraus ganz neue Bautypologien entwickeln können, zeigen die Solar-Bäume des Deutschen Pavillon der EXPO 2015 in Mailand, bei dem dieses organische Photovoltaiksystem zur Anwendung kam.
Wie unabhängige Energiekreisläufe im Großen wie im Kleinen einen Mehrwert generieren, zeigt auch die Designerin Marjan van Aubel, die sich schon lange mit den Möglichkeiten befasst, Solartechnologie in Alltagsgegenstände zu integrieren. Bei ihrer Solarglas-Kollektion ist jedes Trinkgefäß mit integrierten Solarzellen ausgestattet. In einer speziell entworfenen Vitrine zur Aufbewahrung der Gefäße wird die Energie übertragen und gespeichert. Wie eine Batterie kann das Möbelstück Strom abgeben, zum Beispiel für das Aufladen von Elektrogeräten im privaten Haushalt.
Auch die mikrobielle Brennstoffzellentechnologie bietet weitere Möglichkeiten eines Off-Grid-Energiesystems. Hierbei soll der natürliche Photosyntheseprozess lebender Pflanzen als Energiequelle genutzt werden, um sauberen Strom zu erzeugen. Eine bezaubernde Vorstellung, wenn städtische Parks und Grünflächen sich in Zukunft zu autarken Lichtquellen verwandeln und uns in jeglicher Hinsicht den Weg weisen.
Design zur Kühlung der Erde
Noch ganz frisch und roh – und dennoch kraftvoll – ist die Idee der Lumobags, einem Projekt, das im Rahmen des interdisziplinären Innovations-Workshops „Science Moonshot“ während der MCBW 2022 unter Beteiligung des Münchner Designstudios N+P konzipiert wurde. Bei dieser Vision werden aluminiumbeschichtete Sandsäcke weltweit auf großen Flächen platziert. Mithilfe der Lumobags soll genügend Sonnenenergie reflektiert werden, um dem CO2-bedingten Treibhauseffekt entgegenzuwirken. Vielleicht ein weiteres zukünftiges Projekt, dass im Zusammenspiel mit vielen anderen einen Beitrag zur Bewältigung der Klima- und Energiekrise leisten kann, auch wenn die Entwickler:innen und Designer:innen es nur als Brückentechnologie verstehen, die der Gesellschaft zumindest eine Atempause bei der Klimaerwärmung verschaffen soll.
Sicher ist, wir brauchen noch viele Ideen, Konzepte und Visionen, die nur in einem ständigen Wissenstransfer, Bottom-up Strategien und internationaler Vernetzung eine positive Wirkmacht entfalten werden. Aber Krisen haben ja bekanntlicherweise die Menschheit schon immer zu neuen Innovationen und großen Erfindungen beflügelt.
Zitierempfehlung: Sarah Dorkenwald (07.09.2022): Energiewende gestalten. Gestalterische Beiträge zur Linderung der Klima- und Energiekrise https://bayern-design.de/beitrag/energiewende-gestalten/
Die diplomierte (Univ) Designerin Sarah Dorkenwald praktiziert in ihrer gestalterischen wie theoretischen Arbeit eine kritische Designhaltung. Im Austausch mit anderen Disziplinen hinterfragt sie gängige Herangehensweisen und gesellschaftliche Konventionen und möchte mit aktuellen Positionen im Design Alternativen im Umgang mit Ressourcen, Produktion und Verteilung sowie des Zusammenlebens aufzeigen. Sie ist Professorin an der Hochschule für Kommunikation und Gestaltung in Ulm. Zusammen mit der Designtheoretikerin Karianne Fogelberg hat Sarah Dorkenwald das Münchner Studio UnDesignUnit gegründet. Sie vereinen Kompetenzen und Methoden aus dem Design und der Designtheorie und arbeiten an der Schnittstelle zu anderen Disziplinen und Wissensformen. Sarah Dorkenwald schreibt regelmäßig für Designzeitschriften sowie Fachpublikationen.