Was ist Systemisches Design?
Eine Einführung
von Sarah Dorkenwald
Wir bewegen uns in Systemen, die unser Handeln, unsere Produkte und unseren Lebensraum prägen und somit einen beachtlichen Einfluss auf alle Bereiche unseres Lebens, wie Soziales, Bildung, Gesundheit, Versorgung, Wohnen und Arbeiten haben. Gleichzeitig unterliegen diese Bereiche jeweils eigenen Systemen, die wiederum durch Werte, Kulturformen, Weltanschauungen, Mythen und Konventionen genährt und definiert werden.
Bisher waren beispielsweise Arbeitssysteme unter anderem von der Vorstellung geprägt, dass der Mann der Hauptversorger ist, während die Frau sich um die Kinder kümmert. Erst eine Verschiebung von Werten, Lifestyle sowie kulturellen Prägungen und damit verknüpften Rollenbildern ermöglichte ein Umdenken hin zur ‚Work-Life-Balance‘, bei der beide Elternteile arbeiten gehen, weil sie Arbeit und Familie besser vereinbaren können und gleichberechtigt aufteilen möchten. Äußere Faktoren wie die Coronapandemie und die damit verknüpfte Option des Homeoffice haben solche Veränderungsprozesse beschleunigt und die Arbeitswelt einem maßgeblichen Wandel unterzogen. Natürlich setzte das bestimmte Infrastrukturen voraus. Gleichzeitig konnten durch neue Technologie-Applikationen Innovationen geschaffen werden, die diesen Trend unterstützten wie z. B. eine ortsunabhängige Kommunikation aufgrund digitaler Räume. Diese neuen Arbeitsformen wirken wiederum in andere Systeme, die der Stadtplanung und Mobilität, Innenarchitektur und Produktgestaltung oder des sozialen Miteinanders.
Veränderungen ermöglichen neue Arbeitsfelder und Anwendungsbereiche, aber auch Implikationen über die man sich im Voraus oft nicht im Klaren ist. Somit gibt es viele kausale Zusammenhänge, die auf ein System wirken und die es zu verstehen gilt, gleichzeitig sind in die Zukunft gerichtete systemische Veränderungen mit vielen ungewissen Faktoren verbunden.
Wie lassen sich Systeme beeinflussen und verändern? In welche Richtung sollen sie sich verändern und welche Rolle spielt dabei das Systemische Design?
Systemisches Design, das Verändern und Gestalten von Systemen durch Design, setzt voraus, bestehende Systeme sehr gut zu verstehen. Zuerst wird in einem definierten Kontext bestimmt, wer die maßgeblichen Akteur:innen und ihre Beziehungen zueinander sind. In einem co-kreativen Prozess werden die betroffenen System-Player:innen so involviert, dass Perspektivwechsel und ein Dialog auf Augenhöhe stattfinden können. Hierbei setzt das Design mit seinen Methoden und Möglichkeiten wichtige Impulse. Ziel ist, gemeinsam das bestehende System zu analysieren und zu hinterfragen, um es dann mit neuen möglichen Narrativen und Szenarien weiterzudenken. Daraus lassen sich im nächsten Schritt Ziele und Maßnahmen ableiten, die die Transformation unterstützen.
Wie könnte dieses zukünftige System aussehen, sich anfühlen und wie wird es unser Leben verändern – sagen wir zum Beispiel, das System? Der Energieversorgung?
Sofort wird klar, das ist ein vertracktes und komplexes Thema, bei dem wir keine klare Vorstellung haben. Ebenfalls können wir keine Nutzer aus der Zukunft befragen, auch zukünftige Anforderungen sind uns nicht bekannt.
Eileen Mandir, Expertin für Systemisches Design und Professorin an der Fakultät für Design der Hochschule München, stellt in ihrem Buch „Zukünfte gestalten“, das sie zusammen mit Benedikt Groß herausgegeben hat, eine Sammlung von Methoden vor, die helfen sollen, solche Prozesse so zu strukturieren, dass sich nicht nur Partizipation und neue Erkenntnisse daraus ergeben, sondern auch zu möglichen Zukunftsstrategien und Innovationen führen. Unter dem Begriff des Design Futuring, schlagen Groß und Mandir einen Prozess und verschiedene Methoden vor, die Beteiligte befähigen soll, sich viele verschiedene Zukünfte vorzustellen, zu diskutieren und zu verhandeln.
Welche Methoden helfen uns mögliche Zukünfte zu konstruieren?
Eine Methode, die Eileen Mandir und Benedikt Groß vorschlagen, um ein tiefergreifendes Verständnis über komplexe systemische Zusammenhänge zu erlangen und daraus mögliche Zukunftsszenarien abzuleiten, ist die „Causal Layered Analysis“ von Sohail Inayatullah, bei der Einflussfaktoren und Handlungsmuster anhand einer Unterteilung in vier kausale Wirkebenen untersucht werden. Die populäre und systemische Ebene sowie Werte und Weltanschauung als auch Mythen und Metaphern sollen helfen die Logik hinter der Lebenswelt besser zu verstehen. Wobei die populäre Ebene die tagesaktuelle Meinung abbildet. Hier können Schlagzeilen wie ‚das Eis der Arktis schmilzt‘ oder ‚fossile Brennstoffe gehen aus‘ in Betracht gezogen werden. Diese Ebene ist ganz oben platziert und symbolisiert die Spitze des Eisbergs, während die unterste Ebene von Mythen und Metaphern gebildet wird.
Auf der systemischen Ebene werden Ursachen und Sachzwänge benannt, das könnte sein: ‚der Kapitalismus basiert auf Wachstum‘. Werte und Weltanschauungen machen Zusammenhänge deutlich wie zum Beispiel die Vorstellung, dass die Industrialisierung Wohlstand fördert. Mythen und Metaphern spiegeln sich oft in Redewendungen wie ‚Zeit ist Geld‘ wider. Diese Erkenntnisse helfen die Gegenwart zu dekonstruieren. In dem für die jeweiligen Ebenen sich abzeichnende neue Phänomene definiert werden, können denkbare Zukünfte rekonstruiert werden.
Wie kann Design die Transformation von Systemen unterstützen?
„Design bedeutet in diesem Kontext durch Artefakte, aber auch Mentefakte und Soziofakte einen Veränderungsprozess anzustoßen. Hier kann Design zum Beispiel in Form einer Intervention seine systemische Wirkung entfalten. Design ist dann ein Hebel, um etwas sichtbar zu machen, in Bewegung zu bringen, die Vorstellungskraft anzuregen, damit Veränderung machbar wird. Gestalten für Systeme bedeutet also mehr Prozess als fertiges Endprodukt.“ erläutert Eileen Mandir in einem Interview mit dem Social Design Labs der Hans Sauer Stiftung.
Was ist das Besondere an Systemischen Design?
Systemisches Design unterstütze oftmals auch sozialen Wandel und Diskurs. Hier würden spekulative Szenarien oder diskursive Artefakte helfen. Manchmal bräuchte es aber auch Interventionen, um Kritik üben zu können, meint Mandir, die als Wissenschaftlerin und Prozessumsetzerin aus der eigenen Erfahrung spricht. Für Eileen Mandir könnten so Innovationen in Form von Produkten, Services, Prozessen, Policies entstehen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass systemisches Design sich meist über längere Zeiträume hinweg größeren Kontexten widmet. Diese Kontexte haben einen hohen Grad an Komplexität. Um eine solide Basis zu schaffen, die Veränderungen erst möglich macht, ist es wichtig alle maßgeblich Betroffenen eines Systems mitgestaltend einzubeziehen. Eine multiperspektivische Auseinandersetzung unter Einbindung von Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, ist deswegen Voraussetzung. Auch die Gestaltungsebenen und ‑absichten sind breiter und benötigen eine methodisch, analytische und systematische Herangehensweise.
Lesetipp: Benedikt Groß, Eileen Mandir: Zukünfte gestalten. Spekulation, Kritik, Innovation: Mit Design Futuring Zukunftsszenarien strategisch erkunden, entwerfen und verhandeln. Mainz 2022.
Zitierempfehlung: Sarah Dorkenwald (05.08.2024): Was ist Systemisches Design? https://bayern-design.de/beitrag/wasistsystemischesdesign