Die EU-Mitgliedstaaten haben am 22.12.2023 die neue Ökodesign-Verordnung beschlossen. Mit ihr sollen künftig nur noch energieeffiziente Produkte auf den Binnenmarkt kommen, die ressourcensparend hergestellt wurden, sowie langlebig und reparierbar sind. Frederike Kintscher-Schmidt, Präsidentin des Verbands Deutscher Industrie Designer e.V. (VDID) und Matthias Nirschl, stellvertretender Regionalgruppenvorsitzender des VDID in Bayern geben nun Einblicke in die aktuellen Herausforderungen und Chancen einer durch EU-Richtlinien und Verordnungen regulierten nachhaltigen Produktgestaltung.
Ein einheitliches Regelwerk für neue Produktgruppen
Seit 2005 gab es in Deutschland die Ökodesign-Richtlinie, die regelmäßig erweitert wurde und nun von der neuen verbindlichen EU-Verordnung abgelöst wird, der „Eco-Design for Sustainable Products Regulation“ (ESPR), die seit dem 18. Juli 2024 gilt. Diese Verordnung ersetzt frühere Richtlinien und soll künftig für alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtend sein. Die Umsetzung ist allerdings noch nicht abgeschlossen, da viele Regelungen noch konkretisiert werden müssen. Bisher hatten sich Prüfprozesse vor allem für Elektrogeräte über Zertifizierungen wie das CE-Kennzeichen durchgesetzt. Diese stehen jedoch kaum in Verbindung mit Ökodesign-Vorgaben. Das soll sich nun ändern in dem neue Produktgruppen wie Textilien, Spielzeug oder Möbel bei der EU-Verordnung hinzugefügt werden. 25 Gremien befassen sich momentan auf europäischer Ebene mit der Normierung von Eco-Design.
Kreislaufwirtschaft als Schlüsselrolle Eine Schlüsselrolle nimmt dabei die Kreislaufwirtschaft ein. Dieser Wandel ist nicht nur politisch initiiert, sondern auch wirtschaftlich wie ökologisch notwendig – und kann nur gelingen, wenn Unternehmen, Designer:innen und Prüfinstitutionen gemeinsam an einem Strang ziehen. In erster Linie geht es darum, Produkte langlebiger zu machen. Die Themen Wiederverwendung und Reparatur spielen dabei eine Rolle, aber auch Recycling, Funktionsbeständigkeit, Zuverlässigkeit, Reparierbarkeit, Nachrüstbarkeit. Über eine Gesetzgebung versucht man der Kreislaufwirtschaft mehr Kraft zu geben. Ab diesem Jahr sind nun zirkuläre Praktiken für bestimmte Produktgruppen innerhalb der EU erforderlich und verändern die Anforderungen an den Entwurf, die Produktentwicklung‑, herstellung und Vertrieb.
Mehr Qualität statt Quantität Einig sind sich Frederike Kintscher-Schmidt und Matthias Nirschl (beide VDID) darin, dass Produkte nachhaltiger werden sollen, ohne teurer für europäische Hersteller:innen oder Verbraucher:innen zu werden. Ein einheitliches Regelwerk kann helfen, dass qualitativ bessere Produkte entstehen und minderwertige vom Markt verschwinden. Besonders innovative Produkte und Produktsysteme brauchen einen klaren rechtlichen Rahmen, um diese in die Praxis umzusetzen. Die Gesetzgebung darf daher nicht als reine Bürokratie abgetan werden, sondern sollte als Chance begriffen werden, um Innovationen zu fördern und nachhaltige Entwicklungen zu ermöglichen. Aber nicht immer ist es für Unternehmen leicht, die Anforderungen zu erfüllen. Um ökonomische, ökologische und soziale Ziele in Einklang zu bringen, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Designer:innen und Unternehmen von Beginn an wichtig.
Nutzererfahrungen helfen bei der Entwicklung nutzerfreundlicher Normen Frederike Kintscher-Schmidt, die sich mit dem Thema Ressourcenknappheit als transformativer Faktor im Produktdesign beschäftigt, verweist auf Forschungsdaten zu Nutzererfahrungen und Nutzungsszenarien, die wertvolle Einblicke bieten, wie zielführende und praxisnahe Verhaltensänderungen gestaltet werden können. In der Praxis zeigt sich jedoch immer wieder, dass bestehende Normen und regulatorische Vorgaben eine Umsetzung entsprechender Ansätze erschweren oder sogar verhindern.
Sie begrüßt eine EU-weite Harmonisierung der Richtlinien und Verordnungen als mögliche Lösung, um Innovationsfreiräume und Klarheit für Hersteller:innen und Designer:innen zu schaffen und somit nicht nur eine nutzerfreundliche und nachhaltige Produktgestaltung zu gewährleisten, sondern auch eine langfristige Planungssicherheit. Gleichzeitig betont sie: „Wenn Regularien zu theoretisch und praxisfern gestaltet werden, können sie ein Hemmschuh für Innovationen sein. Es sollte immer möglich bleiben, ressourcenschonendere und energieeffizientere Alternativen umzusetzen, auch wenn sie formal nicht den Regularien entsprechen.“
Als Negativbeispiel nennt sie die Ökodesign-Anforderungen an Haushaltswaschmaschinen. Der ökologisch effiziente Eco-Waschgang wird lediglich von 3 Prozent der Endverbraucher:innen dauerhaft genutzt. 97 Prozent wählen aktiv – aus Unverständnis der physikalischen Zusammenhänge – ein anderes Programm aus, was den Energieverbrauch und CO₂-Ausstoß unnötig erhöht. Die Ursachen hierfür liegen nicht nur am Waschvorgang, sondern auch im fehlenden Wissen der Nutzer:innen: die restriktiven Designvorgaben und durch Regularien vorgegebenen Bezeichnungen der Eco-Programme führen dazu, dass Betriebsanleitungen oft nicht verstanden und Geräte wenig effizient genutzt werden. Die nachhaltige Nutzung moderner Geräte scheitert für Kintscher-Schmidt an Regelungen, die UX-Innovationen und damit verbundene bessere Nutzerführung behindern.
Nachhaltige Produktgestaltung am Beispiel eines Wegwerfproduktes Matthias Nirschl, der neben seiner Tätigkeit für den VDID Mitgründer und Managing Partner der Münchner Designagentur Lumod ist, befasst sich mit der nachhaltigen Gestaltung von industriellen Nutzfahrzeugen sowie Medizintechnik. Anhand eines veganen Schwangerschaftstest für Phaeosynt, der derzeit noch keinen spezifischen Ecodesign-Vorgaben unterliegt, zeigt er das Potenzial auf, das sich ergibt, wenn nachhaltige Prinzipien auf freiwilliger Basis umgesetzt werden. Beim Schwangerschaftstest handele es sich um ein Wegwerfprodukt, bei dem ökologische Optimierung besonders herausfordernd, aber notwendig sei, erklärt er. Das Designteam analysierte unter anderem Materialverbrauch und Rückführbarkeit unbenutzter Tests, reduzierte Kunststoffanteile und arbeitete mit Biokunststoffen. Auf eine Bedruckung wurde beispielsweise verzichtet, um die Reinheit der Materialien zu erhalten. Neben Materialeinsparung seien Ergonomie und Usability zentrale Nachhaltigkeitsfaktoren, betont Nirschl: Ein Produkt, das fehlerfrei funktioniert und angenehm zu handhaben ist, würde effizienter genutzt – ein entscheidender Punkt bei medizinischen Verbrauchsprodukten. Ein Wegwerfprodukt wie ein Schwangerschaftstest ist trotz ökologischer Optimierungen nicht per se nachhaltig – dennoch kann es sich durch intelligente Designentscheidungen positiv von der Konkurrenz abheben und einen wichtigen Beitrag leisten. Nirschl betont, wie wichtig es sei vor allem ins Machen zu kommen und sich nicht auf der Suche nach der perfekten Lösung, zu verlieren.
Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Designverantwortung muss man zusammen denken Wie lassen sich Nachhaltigkeitsaspekte und wirtschaftliche Realitäten miteinander verknüpften? Entscheidend sei für Matthias Nirschl die Motivation hinter nachhaltigem Design: Ist sie rein gesetzlich motiviert oder auch strategisch und wirtschaftlich sinnvoll? Für Unternehmen stellt sich dabei häufig die Frage, ob ökologische Produkte teurer und damit weniger wettbewerbsfähig sind. Der Unternehmer und Industriedesigner setzt hier auf ein Umdenken im Entwicklungsprozess, denn 80 Prozent der nachhaltigkeitsrelevanten Entscheidungen werden im Designprozess getroffen. „Durch professionelles Design lassen sich Produktionskosten wirtschaftlich halten oder sogar senken, es braucht agilere Prozesse und mehr Kollaboration. Genau dafür sind Industriedesigner:innen ausgebildet, hier pragmatische Lösungen zu denken und vor allem auch produzierbare, wirtschaftliche Lösungen umzusetzen,“ erläutert Nirschl. Die Verantwortung der Designer:innen sieht er darin, wirtschaftlich tragfähige Produktkonzepte zu entwickeln, die Nachhaltigkeit mit Marktgängigkeit vereinen. Intelligentes Design müsse für ihn somit nicht nur nachhaltige Ziele erreichen, sondern auch Kosten senken – zum Beispiel durch Materialeinsparung.
Kommunalfahrzeug als Beispiel für nachhaltige und wirtschaftliche Produktentwicklung Wie das gehen kann, zeigt Matthias Nirschl anhand der Entwicklung einer Produktreihe eines kommunalen Geräteträgers mit verschiedenen Aufgaben wie Grünpflege oder Schneeräumung, auf, die 2024 für den Bundespreis Ecodesign nominiert wurde. Sein Unternehmen Lumod setzte dabei auf die Modularität der Fahrzeuge als eine weitere Möglichkeit, um Kosteneinsparung und Nachhaltigkeit sinnvoll miteinander zu verknüpfen.
Der Fahrzeughersteller arbeitete in Manufakturfertigung und hatte zuvor zwei separate Fahrzeuggrößen im Angebot. Die Designaufgabe bestand darin, die Produktion wirtschaftlich effizienter zu gestalten und so zu optimieren, dass eine künftige Fließbandfertigung bei Unternehmenswachstum gleich mitgedacht wird. Die Lösung: ein modulares System mit hoher Teilegleichheit, das sowohl ökologische als auch wirtschaftliche Vorteile bringt. Ein gutes Beispiel dafür, wie eng wirtschaftliche Anforderungen mit nachhaltigen Designprinzipien wie Modularität, Langlebigkeit und Ressourceneffizienz verwoben sind. Auch hier zeigt sich, dass viele ökologisch sinnvolle Lösungen zunächst aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen entstehen – was die Bedeutung strategischer Designprozesse unterstreicht.
Eine nachhaltige und zirkuläre Produktentwicklung als Chance für neue Geschäftsmodelle Somit hat nachhaltiges Design nicht nur die Aufgabe ästhetische oder funktionale Ziele zu verfolgen, sondern gemeinsam mit dem Kunden an wirtschaftlichen Zielsetzungen und der Entkopplung der Wertschöpfung vom Ressourcenverbrauch zu arbeiten. Designer:innen müssten zunehmend in die unternehmerische Strategie eingebunden sein, hebt Friederike Kintscher-Schmidt hervor. Sie sieht darin eine zentrale Herausforderung für das zeitgenössische Industriedesign und auch eine Chance: nachhaltige Produktentwicklung müsse auf einem Verständnis für unterschiedliche Geschäftsmodelle basieren und nicht nur einen moralischen Anspruch erheben.
Langlebigkeit als ein Faktor für eine sinnvolle Kreislaufwirtschaft Matthias Nirschl unterstreicht das sofort. Bei seinem Beispiel der Gestaltung der Kommunalfahrzeuge sei es immer darum gegangen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen die Fahrzeuge robuster und hochwertiger zu machen, so dass sie nicht zehn, sondern 20 oder 30 Jahre genutzt werden, also eher spät als früh in den Kreislauf rückgeführt werden. „Um die Fahrzeuge langlebiger zu machen, brauchte es ein passendes Geschäftsmodell. Während der Entwicklung sind wir dann mit dem Kunden darauf gekommen, dass wir für die Fahrzeuge eine bessere Wartung und Langlebigkeit ermöglichen und auch Sekundär- und Tertiär-Märkte abdecken können, indem die Hardware Upgrade-fähig und nachträglich individualisierbar ist. Das bedeutet, das Produkt kann an neue Anforderungen angepasst werden, was Remanufacturing wirtschaftlich interessant macht und zudem Reparatur und Wartung erleichtert.“ erklärt er.
Frederike Kintscher-Schmidt ergänzt: „Natürlich ist für den Hersteller auch wichtig, dass er das Fahrzeug, als ökoverträglich auch noch die nächsten 30 oder 40 Jahre verkaufen kann. Wir brauchen nicht über den zweiten oder dritten Markt sprechen, wenn die Geräte laut EU-Vorgaben überhaupt nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Hier müssen zukünftige Richtlinien und Verordnungen eine gewisse Planungssicherheit für Auftraggeber:innen leisten und eine zukünftige Upgrade-Fähigkeit zulassen.“ Am Ende ist es dann nicht zuletzt auch die Ästhetik, die über die langfristige Nutzung eines Produkts entscheidet.
Der digitale Produktpass als technische Innovation Darüber hinaus sieht das Gesetz die Schaffung eines neuen, digitalen Produktpass vor, der Transparenz in die Wertschöpfungskette bringen soll. Er dient als wichtiges Instrument in Hinblick auf die Wiederverwendung und das Recycling von Materialien aber auch, um neue Materialien langfristig in die Stoffströme zu intergerieren, denn hier fehlen oft noch wertvolle Erfahrungswerte. Noch gibt es ihn nicht und es bedarf eines guten UX-Designs, um die nötigen Informationen zugänglich und verständlich zu machen – noch eine Designaufgabe!
All das kann in die richtige Richtung gehen, solange die Erfahrungen der Prüfinstitutionen, Unternehmen und Designer:innen bei den EU-Verordnungen mit einfließen, diese kontinuierlich überprüft und verbessert werden und Innovationen nicht durch zu eng gefasste und falsche Normen gehemmt werden. Dann könnte langfristig ein Wandel Richtung Kreislaufwirtschaft und qualitätsvollen Öko-Designstandards in der Produktgestaltung – zumindest europaweit – gelingen.