21. Oktober 2024

Mehr als schö­ner Schein: Social Design

von Bet­ti­na Schulz

Kei­ne Fra­ge – nicht immer muss Design die gesam­te Gesell­schaft vor­an­brin­gen. Design darf auch rein infor­ma­tiv, kurz­le­big oder werb­lich sein, für klei­ne oder gro­ße Ziel­grup­pen. Nie­mand muss sein krea­ti­ves Talent also unbe­dingt in den Dienst der Mensch­heit stel­len, aber es ist span­nend zu sehen, wie wirk­sam das Know-how und die Werk­zeu­ge von Gestal­tern doch sind, um einen posi­ti­ven sozia­len Wan­del in Gang zu setzen.

Zwar dient Design im bes­ten Fall in gewis­ser Wei­se immer der Gesell­schaft (Ver­pa­ckun­gen schüt­zen unse­re Waren, ein Pla­kat infor­miert etc.), die Unter­schie­de zum Social Design gehen jedoch über die rei­ne Ziel­set­zung hin­aus. Es stellt nicht nur eine Berei­che­rung, Ver­än­de­rung oder Ver­bes­se­rung des Lebens dar; sein beson­de­res Merk­mal besteht in der Her­an­ge­hens­wei­se bei der Lösung von gesell­schaft­li­chen Pro­ble­men und Her­aus­for­de­run­gen. Die Par­ti­zi­pa­ti­on von Nicht-Gestal­te­rin­nen und ‑Gestal­ter ist dabei eben­so zen­tra­ler Aspekt, eben­so wie die oft inter­dis­zi­pli­nä­re Zusammenarbeit.
Des Wei­te­ren steht bei sol­chen Pro­jek­ten nicht unbe­dingt das ästhe­ti­sche Ergeb­nis im Mit­tel­punkt, son­dern viel­mehr das Ver­mit­teln krea­ti­ver Denk- und Lösungs­an­sät­ze: So ist es für Gestal­ter selbst­ver­ständ­lich, eine Auf­ga­be aus meh­re­ren Blick­win­keln zu beleuch­ten und dem­zu­fol­ge unter­schied­li­che Kon­zep­te für ein und das­sel­be Pro­blem zu erar­bei­ten. Was für die Krea­tiv­bran­che pro­fan klin­gen mag, ist für ande­re Berei­che der Gesell­schaft eben nicht selbst­ver­ständ­lich, wie an den nach­fol­gen­den Initia­ti­ven recht deut­lich wird.

Social Design – kein Neuland

Vor­ne­weg soll­te zudem fest­ge­hal­ten wer­den, dass Social Design kei­ne neu­zeit­li­che Mode­er­schei­nung ist: Die Anfän­ge sind viel­mehr in der Zeit der indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on zu fin­den und auch das Bau­haus agier­te im Geis­te einer sozi­al ver­ant­wort­li­chen Gestal­tung. Zahl­rei­che Design­grö­ßen, Künst­ler und Archi­tek­ten lie­ßen in den dar­auf­fol­gen­den Jahr­zehn­ten öko­lo­gi­sche und sozia­le Aspek­te in ihre Arbei­ten ein­flie­ßen, such­ten den gesell­schaft­li­chen Dia­log und Lösun­gen in par­ti­zi­pa­ti­ver Her­an­ge­hens­wei­se. Und da die Her­aus­for­de­run­gen, gera­de in öko­lo­gi­scher Hin­sicht, nicht gera­de klei­ner wer­den, ist das Enga­ge­ment von Gestal­te­rin­nen und Gestal­tern gleich wel­ches Gen­res heu­te unver­zicht­bar: Liegt doch ihre beson­de­re Fähig­keit unter ande­rem dar­in, abs­trak­te Ideen zu visua­li­sie­ren und somit einer brei­ten Öffent­lich­keit zu erklä­ren. Wie schwer es doch ist, poli­ti­sche oder gesell­schaft­li­che Visio­nen zu ver­mit­teln, kann man jeden Tag den ver­stör­ten (und zugleich ver­stö­ren­den) Kom­men­ta­ren in den soge­nann­ten Sozia­len Medi­en ent­neh­men. Mit­ge­nom­men zu wer­den, zu ver­ste­hen und sogar mit­zu­ge­stal­ten, sind Aspek­te, die zuneh­mend an Bedeu­tung gewinnen.

Social Design

Ursprüng­lich als „Design für und mit der Gesell­schaft“ bezeich­net, hat sich der Begriff Social Design seit den 2000er Jah­ren eta­bliert. Gemein­wohl, Par­ti­zi­pa­ti­on und Nach­hal­tig­keit sind wesent­li­che Merk­ma­le des Social Designs. Auf die­se Wei­se sol­len sozia­le Inno­va­tio­nen geför­dert, urba­ne Räu­me gemein­schaft­lich gestal­tet und gesell­schaft­li­che Pro­ble­me gelöst werden.

Welch inspi­rie­ren­de Pro­jek­te und Initia­ti­ven Social Design her­vor­bringt, zei­gen die fol­gen­den Bei­spie­le. Trotz gänz­lich unter­schied­li­cher Aus­rich­tung ist hier­bei ein gemein­sa­mer Nen­ner aus­zu­ma­chen: Mit viel Enga­ge­ment ste­hen die krea­ti­ven Akteu­re für einen posi­ti­ven Wan­del in der Gesell­schaft ein.

Gestal­tungs­zen­tra­le Politik

Die noch recht jun­ge Gestal­tungs­zen­tra­le Poli­tik fand sich 2022 als Grup­pe mit dem Ziel zusam­men, poli­ti­sche Pro­zes­se über­par­tei­lich, trans­dis­zi­pli­när, anti­dis­kri­mi­nie­rend und vor allen Din­gen mit dem Know-how des Designs zu beglei­ten. Hier­bei geht es expli­zit nicht um eine etwa­ige Ein­fluss­nah­me, son­dern dar­um, ein­ge­fah­re­ne Pro­zes­se auf­zu­bre­chen und damit neue Wege der Lösungs­fin­dung aufzuzeigen.

Grün­der und Desi­gner Phil­ipp Car­tier absol­vier­te im Vor­feld Prak­ti­ka im Bun­des­tag, führ­te dort Inter­views und näher­te sich dem Ber­li­ner Poli­tik­be­trieb auf die­se Wei­se an: „Bei mir stell­te sich recht bald die Erkennt­nis ein, dass durch­aus Inter­es­se dar­an besteht, Din­ge anders anzu­ge­hen. Und da auch in ande­ren Berei­chen ver­sucht wird, design­spe­zi­fi­sche Arbeits- und Denk­wei­sen ein­zu­brin­gen, war­um nicht in der Poli­tik? Auch hier wird ›gestal­tet‹ – meist in Form von Geset­zen, aber auch in ande­ren Belan­gen. Aller­dings ist die­ser Gestal­tungs­pro­zess von juris­ti­schen Ein­flüs­sen sowie vie­len Struk­tu­ren geprägt, die sich seit 20, 30 oder gar 40 eta­bliert haben. Mei­ner Mei­nung nach fehlt dabei eine explo­ra­ti­ve, krea­tiv und offen den­ken­de Per­spek­ti­ve. Die­se ver­su­chen wir in den Pro­zes­sen aufzuzeigen.“

Eben­so defi­zi­tär stel­len sich oft die Visua­li­sie­rungs­kom­pe­ten­zen im Poli­tik­be­trieb dar: Kom­mu­ni­ziert wird hier seit jeher im DIN-A4-For­mat, also in schrift­li­cher Form. Mind­maps, Dia­gram­me, Gra­fi­ken, – die all­täg­li­chen Werk­zeu­ge eines Gestal­ters, brin­gen Phil­ipp Car­tier und sein Team mit ins Spiel und ver­mit­teln damit auch deren Effi­zi­enz im Lösungs­pro­zess. Wie darf man sich die Arbeit jedoch kon­kret vor­stel­len? Die Gestal­tungs­zen­tra­le Poli­tik geht auf Abge­ord­ne­te zu und fragt pro­ak­tiv nach The­men, die die­se tief­grün­di­ger ange­hen möch­ten. Besteht Inter­es­se an einer Koope­ra­ti­on, wird zu die­ser fach­spe­zi­fi­schen Fra­ge­stel­lung ein Pro­zess ent­wi­ckelt, der auf der Her­an­ge­hens­wei­se eines klas­si­schen Design­auf­trags basiert. So wer­den etwa Exper­ten aktiv ein­ge­bun­den, wäh­rend sie im rea­len Poli­tik­be­trieb „ledig­lich“ zura­te gezo­gen wer­den. Ideen und Ansät­ze wer­den an Wän­de gepinnt, neu geord­net, visu­ell struk­tu­riert. In meh­re­ren Work­shops nähert man sich so ver­schie­de­nen Ent­wür­fen an, die der Lösung des Pro­blems dien­lich sind. Auch das ein Unter­schied zum poli­ti­schen All­tag: Wird den Frak­tio­nen doch oft nur ein ein­zi­ger Ansatz vor­ge­legt, der dis­ku­tiert, ergänzt oder ver­än­dert wird.

Der Gestal­tungs­zen­tra­le Poli­tik geht es über­ge­ord­net jedoch nicht nur um die spe­zi­el­le Fra­ge­stel­lung – das enga­gier­te Team möch­te lang­fris­tig einen ech­ten gestal­te­ri­schen Kul­tur­wan­del in den Bun­des­tag ein­brin­gen sowie per­spek­ti­visch auch auf Frak­ti­ons­ebe­ne tätig wer­den. „Ein gro­ßer Bene­fit für die Abge­ord­ne­ten und ihre Mit­ar­bei­ten­den liegt ja nicht nur im Lösungs­ent­wurf an sich, son­dern im Ken­nen­ler­nen des Pro­zes­ses. Mit den Metho­den aus dem Design tau­chen sie auf eine ande­re Wei­se in Mate­ri­en ein, als es mit den tra­dier­ten Recher­che­vor­gän­gen des Poli­tik­be­triebs mög­lich ist. Das ist zwar zeit­in­ten­siv, aber in jedem Fall gewinn­brin­gend“, so Phil­ipp Cartier.

Seit März die­ses Jah­res ist die Gestal­tungs­zen­tra­le nun als ein­ge­tra­ge­ner Ver­ein orga­ni­siert, wur­de inzwi­schen bei der Ver­ga­be von För­der­gel­dern berück­sich­tigt und kann auf ers­te erfolg­rei­che Pro­jek­te zurück­bli­cken. Dass die­se eher einem Mara­thon als einem Sprint glei­chen, ist mehr als ver­ständ­lich – das tages­po­li­ti­sche Gesche­hen wir­belt Zeit­plä­ne oft­mals durch­ein­an­der. Auch wenn also ein lan­ger Atem nötig ist, möch­te man in der Gestal­tungs­zen­tra­le Poli­tik ger­ne wei­ter­wach­sen, Her­an­ge­hens­wei­sen ver­än­dern, Impul­se geben: „Wir ver­ste­hen dies als ein zusätz­li­ches Ange­bot inner­halb unse­res demo­kra­ti­schen Sys­tems, um die Man­dats­trä­ge­rin­nen und Man­dats­trä­ger sowie alle Akteu­re in ihrer Arbeit zu unterstützen“.

Sarah Mang – Tak­ti­le Graffitis

Mul­ti­sen­so­rik, tak­ti­le Kunst und Inklu­si­on sind Leit­mo­ti­ve der Krea­ti­ven Sarah Mang: Sie setzt sich in ihren Pro­jek­ten inten­siv mit der Wahr­neh­mung aus­ein­an­der und ver­bin­det damit auf selbst­ver­ständ­li­che Wei­se den Betrach­ten­den mit sei­ner Umwelt. Acht­sa­mer zu wer­den, sei­ne Umge­bung nicht nur zu sehen, son­dern tat­säch­lich auf­zu­neh­men und Kunst im wahrs­ten Wort­sinn zu erspü­ren, all das steht bei ihren Kunst­wer­ken im öffent­li­chen Raum im Mit­tel­punkt. Somit ermög­licht Sarah Mang auch ein sehr demo­kra­ti­sches Erleb­nis für alle Inter­es­sier­te – der nor­ma­ler­wei­se intel­lek­tu­el­le Zugang zur Kunst wird durch eine nah­ba­re Erfah­rung abge­löst. Ihre tak­ti­len Graf­fi­tis im öffent­li­chen Raum ergänzt die Künst­le­rin dabei ger­ne mit immersi­ven Ele­men­ten, und in Kom­bi­na­ti­on mit Audio­gui­des wer­den ihre Aus­stel­lun­gen zum mul­ti­sen­so­ri­schen Erlebnis.

In die­sem Jahr rea­li­sier­te Sarah Mang bei­spiels­wei­se im öster­rei­chi­schen Gablitz eine Instal­la­ti­on aus Gips­ab­drü­cken unter­schied­li­cher Moti­ve, die aus­drück­lich zum Begrei­fen ein­lu­den. „Durch das Wech­seln der Sicht­wei­se, das ›Neu-Sehen‹ durch das Berüh­ren der Graf­fi­tis, wird das Bewusst­sein dafür gestärkt, dass es immer meh­re­re Mög­lich­kei­ten der Betrach­tung und Wahr­neh­mung gibt“, erzählt die Künst­le­rin. Wer nicht vor Ort sein konn­te, wur­de zu einer vir­tu­el­len 360-Grad-Tak­ti­le Graf­fi­ti Tour ein­ge­la­den, bei der die ein­zel­nen Sta­tio­nen spie­le­risch ent­deckt wer­den konn­ten – visu­ell und akus­tisch wur­de der Betrach­ter durch den Par­cour gelei­tet. Für die­sen neu­en, inklu­si­ven Zugang zur Kunst wur­de Sarah Mang kürz­lich beim Wett­be­werb „Paint the Walls“ des FH Cam­pus Wien aus­ge­zeich­net, der Kon­zep­te wür­dig­te, die Nach­hal­tig­keit, Öko­lo­gie und die Natur glei­cher­ma­ßen reflektieren.

Ein Projekt für alle: Die taktilen Graffitis von Sarah Iris Mang. Foto: Lichtpunktfotografie
Ein Projekt für alle: Die taktilen Graffitis von Sarah Iris Mang. Foto: Lichtpunktfotografie
Multisensorik und Inklusion sind Anliegen der taktilen Graffitis. Foto: Lichtpunktfotografie
Multisensorik und Inklusion sind Anliegen der taktilen Graffitis. Foto: Lichtpunktfotografie

Super­tec­tu­re – Archi­tek­tur neu gedacht

Super­tec­tu­re agiert als ehren­amt­li­ches und inter­dis­zi­pli­nä­res Think-Tank-Force-Team, das seit vie­len Jah­ren dort tätig wird, wo sich Men­schen Archi­tek­tur eigent­lich gar nicht leis­ten kön­nen. Da ist die Bezeich­nung „Robin-Hoo­ding-Archi­tek­tur“ ganz tref­fend, wie sich Grün­der Till Grö­ner und sein Team selbst beschrei­ben. Fri­sche Ideen jun­ger Architekt*innen kom­men den­je­ni­gen zugu­te, die kei­ne Desi­gner­bau­ten finan­zie­ren kön­nen und auf begrenz­te Res­sour­cen zurück­grei­fen müs­sen. So ließ Super­tec­tu­re bei­spiels­wei­se im nepa­le­si­schen Berg­dorf Dhoksan eine Schu­le ent­ste­hen: Jeder Raum wur­de von einem ande­ren Team mit unter­schied­li­chen loka­len Mate­ria­li­en wie Lehm oder Holz gebaut, zurück­ge­grif­fen wur­de auch auf lee­re Bier­fla­schen oder aber alte Fens­ter eines vom Erd­be­ben zer­stör­ten Gebäu­de. Die ein­hei­mi­sche Bevöl­ke­rung, die gera­de selbst dabei war, ihre Häu­ser neu zu errich­ten, spen­de­te für das Pro­jekt sogar ein­zel­ne Ziegelsteine.

Mit der Erfah­rung im Gepäck, mit vor­han­de­nen Res­sour­cen sehr viel erschaf­fen zu kön­nen, ging nun Super­tec­tu­re 2 an den Start: Ent­wick­lungs­hil­fe wird sozu­sa­gen reimpor­tiert. „In Afri­ka fin­det man kei­nen Müll auf der Stra­ße, wirk­lich alles wird dort wie­der­ver­wen­det“, so Till Grö­ner. „Wenn man dann sieht, in wel­chem Mate­ri­al­schla­raf­fen­land wir in Deutsch­land leben und wie viel hoch­wer­ti­ges Mate­ri­al acht­los weg­ge­wor­fen wird, wird deut­lich, dass ein Umden­ken drin­gend not­wen­dig ist“.

Das ent­ste­hen­de Netz­werk von Super­tec­tu­re 2 aus Hand­wer­kern, Pla­nern und Bau­her­ren trägt dabei bereits ers­te Früch­te: So wur­den dem enga­gier­ten Archi­tek­ten­team gera­de die Über­res­te der ehe­ma­li­gen Kir­che Zu den Acht Selig­kei­ten in Füs­sen zur Ver­fü­gung gestellt. Hoch­wer­ti­ge Fens­ter, Kir­chen­bän­ke, Kup­fer­to­re, das Maha­go­ni-Par­kett und vie­les mehr sol­len neu ver­baut wer­den. „Wir sind gera­de dabei, das ers­te Haus aus zu 100 % wie­der­ver­wen­de­ten Mate­ria­li­en zu errich­ten«, berich­tet Till Grö­ner. Sei­ne Begeis­te­rung und die gro­ße Moti­va­ti­on der jun­gen Archi­tek­tin­nen und Archi­tek­ten sind der­art anste­ckend, als dass sich beim Abbau der Kir­che in kür­zes­ter Zeit 40 Frei­wil­li­ge zusam­men­fan­den, um ehren­amt­lich mit­an­zu­pa­cken. „Es ist wie bei Huck­le­ber­ry Finn: Tom macht sei­ne ›Straf­ar­beit‹, den Zaun zu strei­chen, den Men­schen als schöns­te Tätig­keit über­haupt schmack­haft und wird schließ­lich nicht nur unter­stützt, son­dern sogar belohnt“, so Till Grö­ner. Tat­säch­lich zieht Erfolg Erfolg nach sich: Gera­de erhielt Super­tec­tu­re mit einem Preis auf dem Bau­fritz Kli­ma­gip­fel wei­te­re Auf­merk­sam­keit. Dar­auf folg­ten nicht nur neue Koope­ra­ti­ons­an­ge­bo­te, son­dern auch ganz kon­kre­te Auf­trä­ge für nach­hal­ti­ge Bau­pro­jek­te zu übli­chen Archi­tek­tur­kon­di­tio­nen. „Was heu­te not­wen­dig ist, sind Inspi­ra­ti­on und Vor­bil­der – vor allen Din­gen aber eine kla­re Hal­tung. Wenn man eine gewis­se Anzahl an Men­schen für etwas gewin­nen kann, schlie­ßen sich immer mehr die­ser Idee an … aus anfäng­li­cher Skep­sis wird Begeis­te­rung.“ Dass die­se nicht nur inner­halb der Bau­bran­che dank­bar auf­ge­nom­men wird, zeigt auch die schö­ne Bege­ben­heit, dass das Super­tec­tu­re-Team in sei­ner All­gäu­er Basis­sta­ti­on vom ört­li­chen Bäcker nach Laden­schluss mit unver­kauf­ter Ware ver­sorgt wird – Social Design ist eben kei­ne Einbahnstraße.

Cir­cu­lar West­end – ein Pro­jekt der Hans Sau­er Stiftung

Das Social Design Lab der Hans Sau­er Stif­tung wid­met sich viel­fäl­ti­gen Her­aus­for­de­run­gen unse­rer Gesell­schaft und ver­eint Erkennt­nis­se aus Wis­sen­schaft und Pra­xis unter einem Dach. In trans­dis­zi­pli­nä­rer Zusam­men­ar­beit ent­ste­hen dabei Pro­jek­te wie „Cir­cu­lar West­end“: „Das Pro­jekt Cir­cu­lar West­end geht der Fra­ge­stel­lung nach, wie es gelin­gen kann, in einer Groß­stadt wie Mün­chen dem Kreis­lauf­den­ken und ‑han­deln in Poli­tik, Ver­wal­tung, Wirt­schaft und Zivil­ge­sell­schaft zu maß­geb­li­cher Bedeu­tung zu ver­hel­fen. Wie und wel­che Kreis­läu­fe im Bereich der Ernäh­rung und der Nah­rungs­mit­tel­ver­sor­gung kön­nen geschlos­sen wer­den? Wel­che Rol­le spielt dabei das sozia­le Mit­ein­an­der in einer Gesell­schaft?“, so erläu­tert die Stif­tung die grund­le­gen­den Fra­gen, die sie in die­sem Modell­pro­jekt zu beant­wor­ten ver­sucht. Ein wich­ti­ger Aspekt ist dabei nicht nur das Fach­wis­sen von Exper­ten, son­dern ins­be­son­ders die akti­ve Ein­bin­dung der Anwoh­ner in die­sen Pro­zess. So kön­nen bei­spiels­wei­se Kin­der und Jugend­li­che in Ernäh­rungs­werk­stät­ten ein Bewusst­sein für regio­na­le und sai­so­na­le Lebens­mit­tel ent­wi­ckeln und ler­nen, wie nach­hal­ti­ges Kochen funk­tio­niert. Zudem soll im Vier­tel ein Ort ent­ste­hen, an dem sich die Bewoh­ner ver­net­zen, ihr Wis­sen tei­len und gemein­sam nach Lösun­gen für eine soli­da­ri­sche und nach­hal­ti­ge Ernäh­rung suchen. Hier könn­ten per­spek­ti­visch Koch­kur­se oder aber Work­shops stattfinden.

Die­se fort­lau­fen­de Initia­ti­ve ist dabei nicht nur als the­men­spe­zi­fi­sches Pro­jekt anzu­se­hen: „Mit dem The­ma Ernäh­rung wird ein brei­tes Spek­trum an Berei­chen berührt und ange­gan­gen: Umwelt, Bil­dung, Gesund­heit, Wirt­schaft, Sozi­al­po­li­tik, For­schung, Logis­tik und Kul­tur haben Ein­fluss dar­auf, wie wir uns ernäh­ren, und wer­den gleich­zei­tig von der Ernäh­rung und Ernäh­rungs­sys­te­men beein­flusst“, ist auf der Web­site des Social Design Lab zu erfah­ren. Das West­end wur­de über die kon­kre­ten Ange­bo­te hin­aus somit zum For­schungs­feld, das auch durch die Ver­net­zung mit ande­ren Initia­ti­ven die Ernäh­rungs­wen­de im Sin­ne einer Cir­cu­lar Socie­ty erprobt und damit Ideen aus kol­lek­ti­ver Krea­ti­vi­tät gewinnt. Ein Lern­ort, der auf­zeigt, wie sehr Social Design in das all­täg­li­che Leben der Menschen.

Social Design im Fokus

Fran­cis Stieg­litz schloss 2020 ihren Mas­ter in Design- und Kommunikations­strategie an der Hoch­schu­le Augs­burg ab und arbei­tet seit 2021 als Social Desi­gne­rin im social design lab der Hans Sau­er Stif­tung. Wir spra­chen mit ihr über die Mög­lich­kei­ten und Bedeu­tung des Social Designs. 

BS: Social Design ist ein wei­tes Feld – auf wel­chem Gebiet sehen Sie den größ­ten Bedarf und wo ver­or­ten Sie sich selbst?

FS: Ich glau­be, die gro­ße Her­aus­for­de­rung besteht dar­in, dass wir vie­le drän­gen­de gesell­schaft­li­che Pro­ble­me gleich­zei­tig lösen müs­sen. Das betrifft sowohl glo­ba­le The­men wie die Kli­ma­kri­se als auch per­sön­li­che Belan­ge, wie die Suche nach einer bezahl­ba­ren Woh­nung. Des­halb inter­es­siert es mich beson­ders, wie Men­schen ihre Gesell­schaft gestal­ten kön­nen. Par­ti­zi­pa­ti­on zieht sich dabei durch alle gesell­schaft­li­chen The­men. Beson­ders wich­tig fin­de ich die Fra­gen: Wer kann sich betei­li­gen, und wer wird ausgeschlossen?

Inwie­fern ist Par­ti­zi­pa­ti­on so bedeutsam?

Unse­re Gesell­schaft ist unglaub­lich divers. Dies zeigt sich nicht nur in unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven, son­dern auch in den Exper­ti­sen, die Men­schen mit­brin­gen. Wenn wir das in Betei­li­gungs­pro­zes­sen nicht berück­sich­ti­gen, ver­feh­len wir den eigent­li­chen Sinn des Social Designs. Bei ech­ter Par­ti­zi­pa­ti­on müs­sen Men­schen tat­säch­lich Ein­fluss auf die Gestal­tung und Umset­zung von Pro­jek­ten, Maß­nah­men oder Ent­schei­dun­gen haben.

Den­ken Sie, dass Social Design in der heu­ti­gen Zeit wich­ti­ger denn je ist? 

Ich glau­be, dass Social Design eine wich­ti­ge Rol­le spie­len kann, wenn es dar­um geht, gesell­schaft­li­che Pro­ble­me zu lösen. Aller­dings immer als Teil eines grö­ße­ren Netz­werks von Men­schen und Dis­zi­pli­nen, die an die­sen Her­aus­for­de­run­gen arbei­ten. Es geht dar­um, gemein­sam Lösun­gen zu fin­den, und dabei hal­te ich inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit für ent­schei­dend. Das betrifft nicht nur fach­li­che Exper­ti­se, son­dern auch das All­tags­wis­sen, das Men­schen aus ihrer Lebens­rea­li­tät einbringen.

Inwie­fern sind Gestal­te­rin­nen und Gestal­ter für gesell­schaft­li­che Initia­ti­ven bzw. Pro­blem­lö­sun­gen unverzichtbar?

Social Design schafft Mög­lich­kei­ten, um inter­dis­zi­pli­när an gro­ßen gesell­schaft­li­chen Fra­gen zu arbei­ten. Als Desi­gne­rin­nen und Desi­gner kön­nen wir die­se Pro­zes­se beglei­ten, Offen­heit für Expe­ri­men­te ein­brin­gen und immer wie­der zei­gen, dass es sich lohnt, gemein­sam neue Din­ge aus­zu­pro­bie­ren. So ent­ste­hen Lösun­gen, die nicht nur inno­va­tiv, son­dern auch nach­hal­tig und mensch­lich sind.

Social Design – ein Gewinn für alle

„Social Design schafft Mög­lich­kei­ten, um inter­dis­zi­pli­när an gro­ßen gesell­schaft­li­chen Fra­gen zu arbei­ten, weiß Social-Desi­gnern Fran­cis Stieg­litz. Denn, „als Desi­gne­rin­nen und Desi­gner kön­nen wir die­se Pro­zes­se beglei­ten, Offen­heit für Expe­ri­men­te ein­brin­gen und immer wie­der zei­gen, dass es sich lohnt, gemein­sam neue Din­ge aus­zu­pro­bie­ren. So ent­ste­hen Lösun­gen, die nicht nur inno­va­tiv, son­dern auch nach­hal­tig und mensch­lich sind.“

Wie die Bei­spie­le – Gestal­tungs­zen­tra­le Poli­tik, Super­tec­tu­re, tak­ti­le Graf­fi­tis oder das Cir­cu­lar West­end – zei­gen, set­zen Social Design-Pro­jek­te natur­ge­mäß im Klei­nen an. Aller­dings darf man dabei die sekun­dä­re Wirk­kraft nicht unter­schät­zen: Je mehr Men­schen ein Gefühl dafür bekom­men, tat­säch­lich etwas bewe­gen und per­sön­li­chen Erfah­run­gen ein­brin­gen zu kön­nen, um so posi­ti­ver wirkt sich dies auf das gesamt­ge­sell­schaft­li­che Kli­ma aus. Im Social Design gibt es kein „die da oben“ und „wir da unten“, dafür kon­kre­te und erleb­ba­re Lösun­gen. Mehr davon!

Buch­tipps:  Muse­um für Gestal­tung Zürich, Ange­li Sachs (Hg.): Social Design. Par­ti­zi­pa­ti­on und Empower­ment. Zürich 2018. Attil Buj­dosó (Hg.): Social Design Cook­book. Buda­pest 2019.

Zitier­emp­feh­lung: Bet­ti­na Schulz (21.05.2024): Ganz schön ver­schach­telt … Geht Pack­a­ging auch nach­hal­tig? https://bayern-design.de/beitrag/mehr-als-schoener-schein-social-design/

Bet­ti­na Schulz
Bet­ti­na Schulz ist freie Tex­te­rin und Desi­gn­jour­na­lis­tin in Mün­chen. Über 18 Jah­re lang präg­te sie als Chef­re­dak­teu­rin das inter­na­tio­na­le Design­ma­ga­zin novum World of Gra­phic Design, bevor sie 2019 ihr eige­nes Redak­ti­ons­bü­ro grün­de­te. 2006 initi­ier­te sie mit ihrem Redak­ti­ons­team die Crea­ti­ve Paper Con­fe­rence. Heu­te ent­wi­ckelt sie Kun­den­ma­ga­zi­ne, schreibt für ver­schie­de­ne Maga­zi­ne und Agen­tu­ren und betreut Blogs sowie Unter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on für Kun­den aus unter­schied­li­chen Bran­chen. Dar­über hin­aus ist Bet­ti­na Schulz Juro­rin bei zahl­rei­chen Design­wett­be­wer­ben und im Bera­tungs­bei­rat der Müns­ter School of Design, FH Münster.
Fran­cis Stieglitz

Fran­cis Stieg­litz ist Social Desi­gne­rin und Kon­zepte­rin. 2020 schloss sie ihr Mas­ter­stu­di­um Design- und Kommunikations­strategie an der Hoch­schu­le Augs­burg ab und arbei­tet seit 2021 als Social Desi­gne­rin im social design lab der Hans Sau­er Stif­tung. Dar­über hin­aus hat­te sie einen Lehr­auf­trag an der Hoch­schu­le Augs­bur­ge inne und arbei­te­te als frei­be­ruf­li­che Grafikerin.