Was verbindet eine fast 400 Jahre alte Brauerei mit einem Begegnungsbus für Senior:innen? Was haben modulare Parkbänke in Hamburg mit fahrradfreundlicher Stadtplanung in Wiesbaden zu tun? Die Social Design Days 2025 zeigten eindrucksvoll: Das gute Leben ist kein individuelles Projekt, sondern ein kollektiver Gestaltungsprozess. Design präsentiert sich dabei nicht als schöne Oberfläche, sondern als Werkzeug, mit dem wir aushandeln, in welcher Welt wir leben wollen.
Als Plattform für Austausch und Experiment lud bayern design von 22. bis 24. Oktober gemeinsam mit zahlreichen Partner:innen nach Nürnberg mit dem Ziel, Social Design als Haltung und Praxis zu zeigen, die gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Interessen verbindet.
Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.Mehr erfahren
Video laden
YouTube immer entsperren
»Das, was uns eint, ist die Suche nach dem guten Leben – übergreifend über alle Parteien«, so Nick Potter vom studio formagora in seiner Keynote. Dieser Satz durchzog den Tag wie ein roter Faden: Social Design wurde als das Ringen darum definiert, wie wir zusammenleben wollen, zwischen Neugier und Konfrontation, zwischen Partizipation und Kritik.
Rund 150 Teilnehmende kamen zu den Talks der Social Design Days; zuvor hatten sich diverse Gruppen im Design Jam zwei konkreten Herausforderungen des demografischen Wandels gewidmet. Die Ergebnisse wurden am Vortragstag in der IHK Nürnberg in einen größeren Kontext gestellt: Keynotes, Best-Practice-Beispiele und Diskussionsrunden beleuchteten das Spannungsfeld zwischen sozialer Verantwortung, wirtschaftlicher Realität und kreativer Freiheit. Durch die Talks führten Eli Perzlmaier und Marta Bielik als Co-Moderatorinnen, die selbst verkörpern, worum es bei Social Design geht: die bewusste Gestaltung von Begegnungen. Parallel zu den Vorträgen und Cases fanden Workshops für Gründer:innen statt: »Gründen mit Überblick – Impact Canvas« mit Anders Gründen sowie »Lernen und Arbeiten mit Erfolgsmustern etablierter Sozialunternehmen« mit der Social Entrepreneurship Akademie. Das dichte Programm zeigte: Social Design lebt von der Verknüpfung von Reflexion und konkretem Handeln.
Schon die Begrüßung machte deutlich, welche Bedeutung Design für den gesellschaftlichen Zusammenhalt hat. Tobias Gotthardt, Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, unterstrich die Relevanz der Branche: »Im Design brauchen wir das verbindende Element. Wir wissen um eure Bedeutung – Design ist ein zentraler Standortfaktor und Innovationsmotor in Bayern.« Mit einem jährlichen Umsatz von rund 3,8 Milliarden Euro hat sich der Freistaat als »Designregion mit Strahlkraft« etabliert.
Auch Johannes Bisping, Vizepräsident der IHK Nürnberg für Mittelfranken, betonte die Rolle der Kreativwirtschaft als Ressource für neue Ideen: »Unser Rohstoff sind Menschen, sind Kreativität und gute Ideen. Diese gilt es, an die Gesellschaft heranzutragen – eine Kommunikationsleistung, die wir gemeinsam erbringen müssen.«
Nadine Vicentini, Geschäftsführerin von bayern design, machte deutlich, dass Social Design zeige, »wie viel Potenzial in Gestaltung steckt – weit über die ästhetische Form hinaus«. Im Mittelpunkt stünden Beziehungen, Prozesse und Strukturen. »Wir wollen mit den Social Design Days heraus aus der eigenen Bubble, andere Perspektiven als Lernfutter nutzen. Erst das Zusammen-Agieren erzeugt den Impact, den wir brauchen.« Mit einem Zitat aus Wolf Lotters Buch »Die Gestörten« brachte sie die Haltung auf den Punkt: »Kreative müssen stören, damit wir neue Entwicklungen möglich machen.«
Apropos stören: An diese Haltung knüpfte Jesko Fezer an, Architekt und Professor für Experimentelles Design an der HFBK Hamburg. »Könnte sein, dass es so wirkt, als ob ich Social Design doof finde, aber Kritik ist für mich eine Form von Zuwendung«, begann er seine Keynote. Fezer stellte den Begriff selbst infrage: »Es gibt kein unsoziales Design!« Jede Form der Gestaltung sei gesellschaftlich eingebettet und hinterlasse Spuren – die Frage sei also nicht, ob Design sozial ist, sondern für wen.
»Design kann nicht neutral sein«, so Fezer. »Aber vielleicht liegt gerade in dieser Tendenziösität seine Stärke.« Er zeigte studentische Projekte wie die Gedenkstätte für Ramazan Avci in Hamburg oder das Projekt »A Bench Community«, das stark frequentierte öffentliche Räume neu organisiert. Sein Appell: »Wenn wir schon nicht vermeiden können, dass Design sozial ist, sollten wir das besser explizit machen und Interessenkonflikte ehrlich anerkennen.« Das bedeute, größere strukturelle Ungleichheiten sichtbar zu machen, statt mit gut gemeinten Einzelprojekten »privates Elend zu verfestigen«.
Um die Weise, wie sich konkrete Anlässe und Orte in größere soziale Zusammenhänge bringen lassen, drehte sich auch die Keynote von Barbara Lersch, die als Chief Programme Officer der World Design Capital Frankfurt RheinMain 2026 den Vortragstag eröffnete. »Was kann Design überhaupt leisten? Es kann Dinge sichtbar machen, Brücken bauen, Zukunft maßgeblich mitgestalten« – und zwar nicht durch ein einmaliges Event, sondern durch nachhaltige Transformation. Von den rund 450 Projekten im Programm kamen mehr als 300 aus einem Open Call, gespeist aus zivilgesellschaftlichem Engagement. Lersch betonte die Bedeutung von Information als Vorstufe der Partizipation: »Nur wer versteht, kann mitgestalten.«
Dokumentation und Sichtbarmachung seien ebenfalls Teil sozialer Verantwortung, außerdem fördere das die Selbstwirksamkeit: »›Tu Gutes und sprich drüber‹ – wir tun das im Bereich Social Design noch zu wenig.« Mit den Unternehmen AckerImpact und Leonardo führt das WDC deshalb Wirkungsstudien durch. »Ohne Beschreibung der eigenen Wirkung entsteht auch keine Transformation.«
Wie breit Social Design verstanden werden und ebenjene Wirkung entfalten kann, zeigten weitere Beiträge: Katja Meinecke-Meurer vom Tessloff Verlag betonte die Rolle der Neugier als Motor gesellschaftlicher Entwicklung und das Potenzial, Kinder stärker im öffentlichen Leben stattfinden zu lassen. Als Verlag wolle man ihnen »relevante Skills mitgeben – Mut finden, Miteinander erleben, selbstwirksam Mitgestalten – die sie dann ins Erwachsenenleben mit rübernehmen.« Benedikt Buchmüller vom Verein »Halle für alle« berichtete, wie partizipative Prozesse in einer ehemaligen Autowerkstatt neue Nachbarschaften schaffen – »alle kann man nicht mit einbinden, daher ist es ein konstanter Prozess«, der Verein treffe Entscheidungen nach soziokratischen Prinzipien, mit ständigem Nachjustieren im Plenum.
Michael Volkmer von Scholz & Volkmer zeigte, wie sich »Creating Shared Value« als dreigliedriges Unternehmensprinzip etabliert hat: interne Prozesse anpassen, Mitarbeitende mitnehmen, lokales Engagement vor Ort. Dazu setzte seine Agentur wegweisende Projekte wie die App »Radwende« um, die Fahrradkilometer in Daten für die Verkehrsplanung umwandelt und sichtbar macht, wie Design Gemeinwohl schaffen kann. Auch Johannes Ehrnsperger von der Neumarkter Lammsbräu sprach über »Fürsorge als Handlungsprinzip« und die Herausforderung, Nachhaltigkeit wirtschaftlich tragfähig zu machen: »Verantwortung und Genuss in einem wertschätzenden Miteinander – dazu gehört für uns Harmonie und Lebensfreude, ohne Verzicht.«
Eine überraschende Perspektive in puncto Kümmern kam von der Neurowissenschaftlerin Franca Parianen: »Fun fact: Menschen verhalten sich sozialer, je weniger Zeit sie zum Nachdenken haben.« Für sie habe Design viel Potenzial, mit gezielten Taktiken Vorurteile gegenüber Mitmenschen abzulegen – etwa durch möglichst diverse Teams, »die weniger blöde Entscheidungen treffen – je mehr Blickwinkel, desto besser.«
Laura Rohloff vom Design Zentrum Hamburg, brachte zudem die institutionelle Perspektive ein, sie organisiert Netzwerkveranstaltungen wie Design Thirstday mit. Ihr sei für nachhaltigen Wandel wichtig, »die Unternehmen mehr in die Verantwortung zu nehmen und mit Kreativschaffenden zusammenzubringen, um Cross Innovation zu ermöglichen.
Am Ende eines intensiven Tages blieb die Erkenntnis, dass Social Design kein harmonisches Feld ist, sondern ein Aushandlungsprozess – offen, widersprüchlich, notwendig. Dass »für alle« ein Versprechen ist, das nie vollständig eingelöst werden kann, aber gerade deshalb nicht aufgegeben werden darf. Dass Transformation tatsächlich gelingen kann, mit allen Konflikten und Kompromissen. »Wir müssen der Komplexität ins Auge schauen«, formulierte es Nick Potter treffend in seinem Impuls. Als junger Nachwuchsdesigner blickt er überraschend optimistisch in die Zukunft – ein gutes Zeichen.
Und genau darin liegt schließlich das Potenzial von Social Design: im gegenseitigen Mutmachen, im Zuhören und in der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Gestaltung bedeutet, Beziehungen zu schaffen – zwischen Menschen, Disziplinen und Ideen.
Wie klingt soziale Innovation? Beim Design Jam 2025, der vom 22. bis 23. Oktober im Nürnberger Treff Bleiweiß stattfand, arbeiteten interdisziplinäre Teams an kreativen Lösungen für den demografischen Wandel – das Format war offen für alle, unabhängig vom beruflichen Hintergrund. Begleitet wurde es von Sandra Engelhardt (Urban Lab) und Sebastian Freudenberger (bayern design), die gemeinsam mit den rund 40 Teilnehmenden erforschten, wie Designmethoden gesellschaftliche Herausforderungen lösen können. Im Zentrum standen zwei Challenges, eingereicht von Sabine Distler (Curatorium Altern Gestalten), Paloma Lang (Stabstelle Bürgerschaftliches Engagement im Sozialreferat der Stadt Nürnberg), Carl Bartel (Retla e.V.) sowie Claudia Schenk und Anika Maaß (Lebenshilfe Nürnberg e.V.): Wie können ältere Menschen aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben? Und: Wie lässt sich der Austausch zwischen den Generationen fördern? Innerhalb von zwei Tagen entstanden mithilfe von Research Boards, Interviews mit Menschen, die den Treff Beiweiß als Seniorentreff nutzen, sowie mit schnellen Prototypen konkrete Ideen, die zeigen: Soziale Innovation beginnt mit dem Verständnis für die Bedürfnisse aller Beteiligten – und oft mit einfachen Mitteln. »Wir haben übrigens im Prototyping zum ersten Mal KI genutzt, um Ideen zu visualisieren, so dass sie zugänglicher sind als die Modelle und Plakate der Vorjahre«, erzählt Sebastian Freudenberger. Dabei wurden sie von den Designern Christoph Kraus (.diff/Nürnberg) und Lars Schrodberger (Tabula Rasa Studio/Hamburg) als Experten begleitet.
»Mich hat fasziniert, wie schnell sich Verbindung herstellen lässt, wenn Menschen mit Motivation und offenen Gedanken zusammenkommen«, resümiert Robert Jan Wyszka, Strategic & Experience Designer bei Volkswagen, der als Teilnehmer dabei war. »Design ist in solchen Momenten kein Beruf, es ist ein soziales Bindeglied, das uns erinnert, dass Zukunft immer gemeinsam entsteht.« Die Ergebnisse des Design Jam zeigen: Soziale Innovation entsteht nicht am Reißbrett, sondern im Dialog. Und manchmal braucht es nur einen Bus oder zwei Musikkanäle, um Menschen miteinander zu verbinden.
Neu mit im Programm standen 2025 zwei Workshops für Gründer:innen im Bereich der sozialen Gestaltung und Innovation! Tina Burkhardt und Marius Müller vom Projekt ANDERS GRÜNDEN des Nürnberger Instituts für Soziale und Kulturelle Arbeit (ISKA) bearbeiteten mit den Teilnehmer:innen ein Impact Canvas. Das Ziel: Den unternehmerischen und gesellschaftlichen Mehrwert der eigenen Business-Idee herausarbeiten und Zielgruppen, Herausforderungen und die nächsten Schritte auf dem Weg zur Gründung abzubilden Einen Schritt weiter ging es Nachmittags mit Anne Dörner von der Social Entrepreneurship Akademie aus München. Sie brachte Erfolgsmusterkarten mit, anhand derer Tipps und Tricks aus der realen Umsetzungspraxis besprochen wurden. Die Teilnehmer:innen übertrugen diese anschließend auf ihre Fragestellung und entwickelten so kreativ Lösungen für ihr eigenes Geschäftsmodell.
Die Social Design Days 2025 werden von bayern design organisiert, unterstützt und gefördert von der IHK Nürnberg für Mittelfranken. Medienpartner sind Ströer, CURT und Grafikmagazin.
Ein großer Dank an das Bayern Design Projektteam: Christian Fayek, Kilian Fabich, Sebastian Freudenberger und Verena Westernacher haben die Veranstaltung möglich gemacht.
Fotos: Maria Bayer und Sven Stolzenwald.