Designmanagement im Fokus
Irene Au im Interview mit Bettina Schulz
Design als strategischer Schub
Erfolgreiche Marken mögen in ihrer inhaltlichen Ausrichtung, ihrer Zielsetzung sowie ihrem Auftreten noch so unterschiedlich sein, eine Grundlage verbindet sie: die Integration des Designprozesses in die langfristige Geschäftsstrategie. Die Planung, Entwicklung und letztliche Ausführung basiert im besten Fall auf einem fundierten Designmanagement, das alle Design- und Kommunikationsinstrumente mit den jeweiligen Unternehmenszielen und nicht zuletzt den Anforderungen des Marktes in Einklang bringt. Von der übergeordneten Strategie über die Projektleitung bis hin zur Qualitätskontrolle gilt es, die Kraft des Designs zu nutzen und Maßnahmen punktgenau zu koordinieren.
Wie sehr sich der Wert des Designs konkret auf die Entwicklung von Unternehmen und Marken auswirkt, zeigt beispielsweise die bayern design-Studie von Jan-Erik Baars – Studienbericht zur Designfähigkeit. Hier wird deutlich, dass Design bei Weitem kein dekoratives Add-on ist, sondern Teil der unternehmerischen Strategie ist, die von allen Unternehmensbereichen mitgetragen werden muss.
Es braucht Spezialisten, die von hybrider Natur sind
Ein Vollblut-Designer wird sich mit dem Spektrum an Designmanagement-Aufgabe eher weniger wohlfühlen, während ein geborener Manager durchaus ein Gespür für Design und seine Wirkung mit sich bringen muss. Nicht selten ist es ratsam, diesen besonderen Part zur Etablierung des Designmanagements mit externer Hilfestellung zu bewerkstelligen, um Innovationen zu fördern und die gewünschte Wertsteigerung zu erzielen.
Irene Au kennt diese Prozesse aus beiden Perspektiven: Sie baute in der Vergangenheit Experience- und Designteams in Technologieunternehmen wie Google, Yahoo! oder Udacity User auf und leitete diese über viele Jahre. Heute verhilft sie als Designpartnerin bei Khosla Ventures den CEOs von Start-ups zu einem besseren Verständnis für Nutzerbedürfnisse. Ihr Ziel ist es immer, die strategische Bedeutung des Designs in den Unternehmen zu erhöhen und hierfür bessere Methoden sowie Prozesse zu etablieren. Darüber hinaus ist Irene Au Autorin von „Design in Venture Capital“: Hierin wird nicht nur deutlich, wie Designmanagement-Prozesse von außen angestoßen werden, sondern auch, welche Rolle das strategische Designmanagement bei der Kapitalbeschaffung von Start-ups spielt. Wir sprachen mit der Expertin über die globalen Veränderungen und welche Vorteile ein konzentriertes Designmanagement mit sich bringt.
Bettina Schulz im Gespräch mit Irene Au
Bettina Schulz: In Ihrem Buch „Design in Venture Capital“ erläutern Sie die Rolle von Designpartnern, die CEOs beraten, aber keine praktischen Designleistungen erbringen. Handelt es sich dabei um eine neue Entwicklung oder um ein bestehendes „Modell“, das sich immer mehr durchsetzt?
Irene Au: Die Rolle von Designpartnern im Risikokapitalbereich ist ein sich entwickelndes Modell, das in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Die Integration von Design Thinking in die Unternehmensstrategie gibt es schon seit Jahrzehnten, wobei Unternehmen wie IDEO das Konzept des Design Thinking in den 1990er Jahren populär gemacht haben. Traditionell konzentrierten sich Risikokapitalfirmen in erster Linie auf die finanzielle Unterstützung, strategische Beratung und Geschäftsentwicklung ihrer Portfoliounternehmen. Design wurde oft als nachträglicher Gedanke oder als zweitrangiges Anliegen betrachtet.
BS: Wie kam es hier zu einem Umdenken?
IA: Da die Märkte wettbewerbsfähiger geworden sind und die Benutzererfahrung zu einem entscheidenden Unterscheidungsmerkmal geworden ist, hat die Rolle des Designs bei der Produktentwicklung und der Geschäftsstrategie an Bedeutung gewonnen. In Anerkennung des strategischen Werts von Design haben Risikokapitalfirmen (Venture Capital-Firmen) damit begonnen, Design-Know-how formeller in ihre Beratungsdienste zu integrieren. Diese Entwicklung spiegelt einen allgemeinen Trend zu einer ganzheitlichen Unterstützung von Start-ups wider, die über eine reine Finanzhilfe hinausgeht. Dabei hat sich die formale Rolle von Design-Partnern in Risikokapitalfirmen in den letzten zehn Jahren immer mehr durchgesetzt. Diese Fachleute bringen ihre Expertise in den Bereichen UX, Produktdesign und Design Thinking ein, um Startups bei der Entwicklung nutzerorientierter Produkte und Dienstleistungen zu unterstützen. Designpartner konzentrieren sich in der Regel auf die Beratung und Betreuung von CEOs und Führungsteams bei der Einbindung von Designprinzipien in ihre Gesamtstrategie und nicht auf die Bereitstellung praktischer Designdienstleistungen.
Dies steht im Einklang mit der beratenden Natur der meisten Risikokapital-Unterstützung, bei der der Schwerpunkt auf strategischer Beratung und nicht auf operativer Ausführung liegt. Führende Risikokapitalfirmen wie Khosla Ventures, GV (ehemals Google Ventures), Kleiner Perkins und Sequoia Capital haben sich dieses Modell zu eigen gemacht und setzen Designpartner ein, um den Erfolg ihrer Portfoliounternehmen zu steigern. Die Erfolgsgeschichten dieser Unternehmen haben andere dazu ermutigt, ähnliche Aufgaben zu übernehmen.
BS: Was macht gutes Designmanagement heute so wertvoll und vor allem profitabel für Marken und Unternehmen?
IA: Gutes Designmanagement ist für Marken und Unternehmen heute aus mehreren Gründen wertvoll und profitabel. Das will ich an einigen Punkten einmal verdeutlichen:
- Wettbewerbsvorteil: Effektives Designmanagement trägt dazu bei, einzigartige und innovative Produkte oder Dienstleistungen zu schaffen, die sich auf dem Markt abheben. Diese Differenzierung kann zu einer stärkeren Wettbewerbsposition führen.
- Kundenzufriedenheit und ‑loyalität: Ein gut geführter Designprozess konzentriert sich auf benutzerzentriertes Design und stellt sicher, dass die Produkte oder Dienstleistungen den Bedürfnissen und Vorlieben der Kunden entsprechen. Zufriedene Kunden werden mit größerer Wahrscheinlichkeit zu Wiederholungskäufern und Fürsprechern der Marke.
- Konsistenz und Stärke der Marke: Das Designmanagement stellt sicher, dass alle Designelemente mit der Identität und den Werten der Marke übereinstimmen und ein kohärentes und wiedererkennbares Markenimage schaffen. Eine starke Marke kann höhere Preise erzielen und die Kundentreue fördern.
- Effiziente Nutzung von Ressourcen: Ein gutes Designmanagement optimiert den Einsatz von Ressourcen, einschließlich Zeit, Geld und Talent. Durch die Rationalisierung von Prozessen und die Reduzierung von Verschwendung können Unternehmen mit weniger Ressourcen bessere Ergebnisse erzielen.
- Innovation und Wachstum: Durch die Förderung einer Kultur der Kreativität und Innovation kann das Designmanagement zur Entwicklung neuer Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle führen. Diese Innovation fördert das Wachstum und hält das Unternehmen in einem sich schnell verändernden Markt relevant.
- Reaktionsfähigkeit auf den Markt: Ein effektives Designmanagement ermöglicht es Unternehmen, schnell auf Markttrends und ‑veränderungen zu reagieren. Agilität und Anpassungsfähigkeit können helfen, neue Chancen zu nutzen und Risiken zu mindern.
- Verbesserte Zusammenarbeit und Kommunikation: Designmanagement fördert die funktionsübergreifende Zusammenarbeit und sorgt dafür, dass verschiedene Abteilungen nahtlos zusammenarbeiten. Dieser ganzheitliche Ansatz führt zu einer besseren Entscheidungsfindung und stärker integrierten Lösungen.
- Verbesserte Qualität und Konsistenz: Eine konsistente Designqualität über alle Berührungspunkte hinweg verbessert das gesamte Kundenerlebnis. Hochwertiges Design kann Fehler reduzieren, die Funktionalität verbessern und die Kundenzufriedenheit erhöhen.
- Finanzielle Leistung: Unternehmen, die über ein gutes Designmanagement verfügen, verzeichnen häufig eine bessere finanzielle Leistung. Gutes Design kann zu höheren Umsätzen, besseren Gewinnspannen und größeren Marktanteilen führen.
- Nachhaltigkeit und Verantwortung: Die Einbeziehung nachhaltiger Designpraktiken kann den Ruf eines Unternehmens verbessern und die wachsende Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten befriedigen. Dies zieht Kunden an und kann auch zu Kosteneinsparungen und zur Einhaltung von Vorschriften führen.
BS: Gutes Designmanagement geht also weit über die Markenpflege hinaus?
IA: Absolut. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es bei gutem Designmanagement nicht nur um Ästhetik geht, sondern um die Schaffung von Werten für das gesamte Unternehmen. Es richtet die Designbemühungen an den Unternehmenszielen aus und fördert die Rentabilität und den langfristigen Erfolg.
BS: Ist der erste Schritt immer, dass Unternehmen den Begriff Design einfach neu definieren müssen?
IA: Die Neudefinition des Begriffs „Design“ innerhalb eines Unternehmens kann ein entscheidender erster Schritt sein, aber nicht unbedingt der erste für jede Organisation. Die Notwendigkeit und der Zeitpunkt dieses Schrittes hängen vom aktuellen Designverständnis des Unternehmens und seiner Einbindung in die Geschäftsstrategie ab. Generell können Unternehmen mit der Verbesserung ihres Designmanagements beginnen, indem sie zunächst die Wahrnehmung bewerten. Wie wird Design derzeit innerhalb des Unternehmens wahrgenommen? Handelt es sich um reine Ästhetik, oder wird sein strategischer Wert erkannt? Wenn Design zu eng definiert ist, müssen die Designverantwortlichen seine Definition erweitern, um strategische, nutzerzentrierte und geschäftsorientierte Aspekte einzubeziehen. Diese umfassendere Definition sollte klar formuliert und allen Beteiligten, vom Top-Management bis zu den einzelnen Teammitgliedern, vermittelt werden.
BS: Was ist bei dieser Definition zu berücksichtigen?
IA: Die Designziele müssen mit den allgemeinen Geschäftszielen übereinstimmen, um sicherzustellen, dass diese Bemühungen direkt zum Geschäftserfolg beitragen. Zudem sollte Design Thinking frühzeitig in die Produktentwicklungs- und Entscheidungsfindungsphasen eingebettet werden. Notwendig ist eine Kultur des Design Thinking im gesamten Unternehmen, um Kreativität, Empathie und Innovation zu fördern. Die Beschäftigung und Entwicklung talentierter Designer, die diese Design-Vision vorantreiben können, ist von entscheidender Bedeutung.
Sobald diese Veränderungen etabliert sind, kann das Kreativteam Designprozesse entwickeln und standardisieren, um Konsistenz, Effizienz und Qualität zu gewährleisten, wobei die Methoden auf der Grundlage von Feedback und Leistungsdaten regelmäßig überprüft und verfeinert werden.
Es ist wichtig, die Erfolge und Auswirkungen von Designinitiativen regelmäßig zu kommunizieren, um ihren Wert zu unterstreichen. Die Anerkennung und Würdigung der Beiträge von Designteams trägt zur Stärkung der Arbeitsmoral bei und fördert weitere Innovationen.
Design Thinking
Design Thinking ist keine singuläre Kreativmethode, sondern gilt als systematischer Ansatz, dem eine menschenzentrierte Lösungsorientiertheit sowie die fruchtbare multidisziplinäre Zusammenarbeit zugrunde liegt. Ursprünglich als innovative Methode für Produktentwicklungen ersonnen, erstreckt sich Design Thinking heute über alle kreativen Herausforderungen.
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es bei gutem Designmanagement nicht nur um Ästhetik geht, sondern um die Schaffung von Werten für das gesamte Unternehmen.“
BS: Kann Designmanagement auch rein intern funktionieren oder ist eine externe Perspektive unerlässlich?
IA: Designmanagement kann sowohl rein intern als auch unter Einbeziehung einer externen Perspektive funktionieren. Welcher Ansatz gewählt wird, hängt von den spezifischen Bedürfnissen, Zielen und dem Kontext der Organisation ab. Ein rein internes Designmanagement hat den Vorteil, dass es über ein umfassendes Wissen über die Organisation und den Kontext der Werte, der Kultur und der Ziele des Unternehmens verfügt, was zu kohärenteren und besser abgestimmten Designstrategien führen kann. Es gibt eine einfachere und direktere Kommunikation zwischen den Teammitgliedern und Abteilungen, was die Zusammenarbeit und schnellere Entscheidungsfindung begünstigen. Zudem sind interne Teams stärker am langfristigen Erfolg des Unternehmens beteiligt, was zu konsistenteren und nachhaltigeren Designstrategien führt. Sie sind auch besser in der Lage, mit sensiblen Informationen über die Ziele und Strategien des Unternehmens umzugehen.
BS: Welche Nachteile kann das mit sich bringen?
IA: Interne Teams könnten sich beispielsweise zu sehr abkapseln, was zu einem Mangel an neuen Perspektiven und Innovationen führt. Im Vergleich zu spezialisierten externen Agenturen verfügen sie möglicherweise nur über begrenzte Fachkenntnisse, Fähigkeiten und Ressourcen.
Perspektiven von außen bringen neue Ideen, Trends und bewährte Verfahren aus anderen Branchen und Märkten ein und fördern so die Innovation. Zudem verfügen externe Agenturen oder Berater oft über spezielle Fähigkeiten und Erfahrungen, die intern möglicherweise nicht vorhanden sind. Eine externe Perspektive kann auch eine objektive Bewertung der Designstrategien des Unternehmens liefern und verbesserungswürdige Bereiche identifizieren. Außerdem können diese Ressourcen je nach Projektbedarf aufgestockt oder reduziert werden, was Flexibilität ohne langfristige Verpflichtungen bietet.
BS: Gibt es auch hier Nachteile?
IA: Die Zusammenarbeit mit externen Partnern ist nicht unproblematisch. Externe Partner verstehen möglicherweise die Kultur, die Werte und die strategischen Ziele des Unternehmens nicht oder stimmen mit ihr nicht überein. Unterschiedliche Kommunikationsstile und ‑prozesse können zu Missverständnissen oder Verzögerungen führen. Zudem kann die Beauftragung externer Agenturen oder Berater kostspielig sein, insbesondere bei langfristigen Projekten.
BS: Welches Fazit ist daraus zu ziehen?
IA: Designmanagement kann zwar rein intern funktionieren, aber durch die Einbeziehung einer externen Perspektive werden Innovation, Fachwissen und Objektivität oft verbessert. Viele Unternehmen setzen daher auf ein Hybridmodell, dass die Stärken sowohl interner Teams als auch externer Partner nutzt, um eine ausgewogene und umfassende Designstrategie zu gewährleisten.
„Gesellschaftliche Trends und Normen beeinflussen das Verhalten und die Vorlieben der Verbraucher weltweit.“
BS: Welche Voraussetzungen muss ich erfüllen, um diese beratende Funktion zu übernehmen? Welcher Hintergrund ist empfehlenswert – ist er eher wirtschaftlicher oder kreativer Natur?
IA: Die Übernahme einer beratenden Funktion im Designmanagement erfordert eine einzigartige Mischung von Fähigkeiten und Erfahrungen sowohl aus dem wirtschaftlichen als auch aus dem kreativen Bereich. Studienabschlüsse in Bereichen wie Grafikdesign, Industriedesign, User Experience (UX) Design oder anderen Designdisziplinen bieten dabei eine solide Grundlage. Entscheidend ist die praktische Erfahrung in einer Designfunktion, z. B. als Designer, Designleiter oder Creative Director, denn das Verständnis des Designprozesses, der Herausforderungen und der Feinheiten aus dem Designalltag heraus ist notwendig, um Glaubwürdigkeit zu erlangen und praktische Ratschläge geben zu können. Erfahrung in der Leitung von Teams, im Projektmanagement und im Treffen strategischer Entscheidungen ist ebenfalls wichtig.
BS: Sie sind in den USA ansässig, arbeiten aber natürlich auch für internationale Kunden: Sind die Grundprinzipien der Positionierung, des Imageaufbaus und der Markenentwicklung überall auf der Welt die gleichen?
IA: Gesellschaftliche Trends und Normen beeinflussen das Verhalten und die Vorlieben der Verbraucher weltweit. Die Grundprinzipien der Positionierung, des Imageaufbaus und der Markenentwicklung sind universell, aber ihre erfolgreiche Anwendung erfordert Sensibilität für lokale Kontexte. Marken, die kulturelle, wirtschaftliche, soziale und regulatorische Unterschiede verstehen und sich ihnen anpassen, können effektiv eine starke globale Präsenz aufbauen und gleichzeitig Relevanz und Resonanz auf den lokalen Märkten erhalten.
Lesetipp: Irene Au: Design in Venture Captial. Sebastopol, 2016
Zitierempfehlung: Bettina Schulz (21.08.2024): Designmanagement im Fokus: Irene Au im Interview mit Bettina Schulz, https://bayern-design.de/beitrag/designmanagement-im-fokus