19. März 2025

Design­for­schung und Transformation

von Hel­ge Oder

Durch loka­le Beson­der­heit zu glo­ba­ler Nachhaltigkeit

In die­sem Text möch­te ich der Fra­ge auf den Grund gehen, wie aus einer gestal­te­risch-expe­ri­men­tel­len Per­spek­ti­ve her­aus regio­na­le Eigen­hei­ten und Beson­der­hei­ten als Grund­la­ge ska­lier­ba­rer, nach­hal­ti­ger Ansät­ze für Trans­for­ma­tio­nen erforscht und akzen­tu­iert wer­den kön­nen. Aus­gangs­punkt die­ser Betrach­tun­gen ist u.a. die vom Board auf inter­na­tio­nal Rese­arch in Design (BIRD) abge­hal­te­ne inter­na­tio­na­le Design­kon­fe­renz NERD 6ths Sen­se, die im Jahr 2024 mit der Unter­stüt­zung von bay­ern design an der Fakul­tät für Gestal­tung der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Augs­burg statt­fand. Im nach­hal­ti­gen Sin­ne rele­van­te Vor­stel­lun­gen von Zukunft lie­gen oft abseits aus­ge­tre­te­ner Denk­pfa­de. Dem­entspre­chend muss auch die Art und Wei­se, wie die Gegen­wart in wün­schens­wer­te Zukünf­te trans­for­miert wird, über das Nahe­lie­gen­de hin­aus­ge­hen. Spe­cu­la­ti­ve Design und Design Fic­tion sind dies­be­züg­lich rele­van­te, eta­blier­te Prak­ti­ken. Und oft­mals ste­hen Inhalt und Metho­de in einem hybri­den Ver­hält­nis zuein­an­der: Wie wir die Zukunft ent­wi­ckeln und erzäh­len, stellt ein struk­tur­ge­ben­des Ele­ment für den Inhalt dar.

Pulp Fic­tion: Eine pop­kul­tu­rel­le Betrach­tung zur Rele­vanz von Nerds

Um die Eigen­schaf­ten und Qua­li­tä­ten von Design­for­schung im Kon­text von Trans­for­ma­tio­nen dar­zu­stel­len, ist ein Aus­flug in die Popu­lär­kul­tur hilf­reich. Eine ide­al­ty­pi­sche Ana­lo­gie für die­sen Ansatz fin­det sich in der post­mo­der­nen Erzähl­wei­se des Films Pulp Fic­tion von Quen­tin Taran­ti­no, des­sen Pre­mie­re im ver­gan­ge­nen Jahr bereits zum 30. Mal gefei­ert wur­de. Der Film bricht bewusst mit tra­di­tio­nel­len Erzähl­for­men und kom­bi­niert unter­schied­li­che, schein­bar unver­ein­ba­re Erzähl­strän­ge zu einem neu­en Gan­zen. Die­se Gleich­zei­tig­keit, die mit den eta­blier­ten Erzähl­me­tho­den bricht, kann als Modell für Design­for­schung ver­stan­den wer­den, die mit unter­schied­li­chen und teils wider­sprüch­lich erschei­nen­den Kon­zep­ten arbei­tet. Poten­zi­el­le Zukünf­te und die mit ihnen ver­bun­de­nen Kom­ple­xi­tät und „wicked­ness“ sind nicht line­ar, son­dern viel­stim­mig und viel­fäl­tig – und Design­for­schung kann dazu bei­tra­gen, die­se „plu­ra­len Exis­tenz­for­men“ zu erkun­den und mit­ein­an­der in Bezie­hung zu set­zen. Zudem konn­te der Film nur ent­ste­hen, weil der Schöp­fer, Quen­tin Taran­ti­no eine Viel­zahl kul­tu­rel­ler Ver­satz­stü­cke rekom­bi­nier­te und dabei etwas Eigen­stän­di­ges von neu­ar­ti­ger Qua­li­tät schuf. Das dafür nöti­ge „Nerd-Wis­sen“ erwarb er unter ande­rem durch den stun­den­lan­gen Kon­sum unzäh­li­ger B‑Movies aus den 1970er-Jah­ren wäh­rend sei­ner Tätig­keit in einer Videothek.

Der Begriff „Nerd“ steht heu­te oft für Men­schen mit einer tie­fen Exper­ti­se in Berei­chen, die nicht mehr­heits­fä­hig oder von der brei­ten Mas­se aner­kannt sind. Doch gera­de die­se tief­ge­hen­de Erfah­ren­heit und Lei­den­schaft für (noch) nicht-mas­sen­kom­pa­ti­ble The­men machen sie zu den Weg­be­rei­tern für künf­ti­ge Nor­ma­li­tä­ten. Was heu­te noch als exzen­trisch oder unkon­ven­tio­nell betrach­tet wird, könn­te mor­gen der Stan­dard, das „new Nor­mal“ sein.

Design­for­schung

Design­for­schung ist nicht nur ein Werk­zeug zur Schaf­fung von Pro­duk­ten oder Dienst­leis­tun­gen, son­dern ein Kata­ly­sa­tor für tief­grei­fen­de Ver­än­de­run­gen. Im Kern geht es um den akti­ven Umgang mit Kom­ple­xi­tät (soge­nann­te „Wicked Pro­blems“), die unser sozia­les, wirt­schaft­li­ches und öko­lo­gi­sches Umfeld prägt. Die kon­kre­ten Gegen­stän­de von Gestal­tung, die Defi­ni­ti­on von Pro­ble­men sowie die Metho­den und Vor­ge­hens­wei­sen wer­den selbst per­ma­nent aus­ge­han­delt und neu definiert.

Design und For­schung: über Norm und Abweichung

Design­for­schung muss vor allem als die Suche nach Din­gen ver­stan­den wer­den, von denen wir nicht wis­sen, dass wir sie nicht wis­sen – den soge­nann­ten „unknown unknowns“. Es geht nicht um die Lösung bereits for­mu­lier­ter Pro­ble­me, son­dern um das Erken­nen von Mus­tern, die in bestehen­den Para­dig­men über­se­hen oder nicht gewür­digt wer­den. Die­se Art der For­schung zielt dar­auf ab, unkon­ven­tio­nel­le Per­spek­ti­ven zu inte­grie­ren und neue Ansät­ze auf der Ebe­ne sozia­ler, öko­lo­gi­scher und öko­no­mi­scher Prak­ti­ken zu fördern.

Kom­ple­xi­tät

Design wie auch Design­for­schung haben u.a. eine ent­schei­den­de Eigen­schaft gemein­sam: Mul­ti­fak­to­ri­el­ler Gemenge­la­gen wer­den struk­tu­riert und in Arte­fak­ten ver­ge­gen­ständ­licht, wobei neben ratio­na­len auch sinn­lich-ästhe­ti­sche Aspek­te in die Kom­ple­xi­täts­re­duk­ti­on ein­flie­ßen. Pro­to­ty­pen und Pro­duk­te die­nen als Schnitt­stel­len für ver­schie­de­ne, inter­dis­zi­pli­när agie­ren­de Akteu­re und wer­den in teils offe­nen, par­ti­zi­pa­ti­ven Pro­zes­sen kon­ti­nu­ier­lich wei­ter­ent­wi­ckelt. Letzt­lich reprä­sen­tie­ren Erzeug­nis­se nur vor­läu­fi­ge Lösun­gen, die stän­di­ge krea­ti­ve Aneig­nung und Kri­tik durch ver­schie­de­ne Akteu­re erfor­dern, um Inno­va­ti­on und Ent­wick­lung vor­an­zu­trei­ben – ein Vor­gang per­ma­nen­ter For­schung und Entwicklung.

Loka­le Beson­der­heit und glo­ba­le Nachhaltigkeit

Was bedeu­tet dies für uns im hier und jetzt? Gestal­te­ri­sche Expe­ri­men­te und Inter­ven­tio­nen sind eine bewähr­te Pra­xis, um in unter­schied­lichs­ten Kon­tex­ten sowohl das Bestehen­de neu zu erken­nen als auch das Zukünf­ti­ge erfahr­bar, eva­lu­ier­bar und dis­kurs­fä­hig zu machen. Ein zukünf­ti­ges, zen­tra­les Erkennt­nis­ob­jekt – ganz im Sin­ne der par­al­le­len, nicht-linea­ren Erzähl­wei­se von Pulp Fic­tion – ist die Visi­on einer welt­wei­ten Par­al­le­li­tät ver­schie­de­ner, regio­nal ange­pass­ter Prak­ti­ken und Stra­te­gien des Res­sour­cen­ma­nage­ments vor dem Hin­ter­grund einer Cir­cu­lar Eco­no­my.  Beson­ders im Hin­blick auf loka­le Beson­der­hei­ten – sei­en sie wirt­schaft­li­cher, sozio­kul­tu­rel­ler oder öko­lo­gisch-geo­gra­phi­scher Natur – besit­zen wir bis­lang unge­nutz­te Poten­zia­le. Die­se Beson­der­hei­ten müs­sen ent­deckt, erforscht, kon­tex­tua­li­siert und wei­ter­ent­wi­ckelt, nach­hal­ti­ge Poten­zia­le die­ser loka­len Vor­ge­hens­wei­sen müs­sen nuan­ciert und ska­liert wer­den. Wech­sel­wir­kun­gen und Syn­er­gien mit ähn­li­chen oder kom­ple­men­tä­ren Ansät­zen an ande­ren Orten der Welt kön­nen posi­ti­ve Effek­te ver­stär­ken und glo­ba­le Koope­ra­ti­on fundieren.

 

Auf die klei­nen Din­ge kommt es an!

Der Fokus auf gro­ße Erzäh­lun­gen und Zusam­men­hän­ge führ­te dazu, dass der­ar­ti­ge loka­le Mikro­fak­to­ren, die „Geschich­ten hin­ter der Geschich­te“, bis­her oft unbe­ach­tet blei­ben. Das es auch anders geht, zeigt u.a. die Fab-City-Initia­ti­ve, ein glo­ba­les Netz­werk von Städ­ten, die sich dem Ziel ver­schrie­ben haben, mit­tel­fris­tig (inner­halb von ca. 30 Jah­ren) in regio­na­len Kreis­läu­fen zu wirt­schaf­ten und die Pro­duk­ti­on von Waren lokal und nach­hal­tig zu gestal­ten. Im über­re­gio­na­len Kon­text soll ledig­lich der Aus­tausch von Daten erfol­gen. Inspi­riert von der Idee der digi­ta­len Fer­ti­gung und offe­nen Tech­no­lo­gien, för­dert die Initia­ti­ve auch die Schaf­fung von „Fab Labs“ – offe­nen Ent­wick­lungs- und Pro­duk­ti­ons­stät­ten. Die­se Labs sol­len nicht nur Inno­va­ti­on und Bil­dung vor­an­trei­ben, son­dern auch die Unab­hän­gig­keit von glo­ba­len Lie­fer­ket­ten stär­ken und die loka­le Wirt­schaft för­dern. Sie ste­hen für eine zukunfts­fä­hi­ge Stadt­ent­wick­lung, die auf Selbst­ver­sor­gung, Nach­hal­tig­keit und Par­ti­zi­pa­ti­on setzt. In die­sem Zusam­men­hang darf nicht nur von „Usern“ und „Cus­to­mern“ die Rede sein, son­dern von „Citi­zen“ und zivil­ge­sell­schaft­li­cher Verantwortung.

Cir­cu­lar Economy

Die Cir­cu­lar Eco­no­my wird tra­di­tio­nell häu­fig als pri­mär tech­ni­sches Pro­blem betrach­tet, für das spe­zi­fi­sche Lösun­gen ent­wi­ckelt wer­den müs­sen. Oft geht es auch dar­um, Kun­den­ak­zep­tanz für neu­ar­ti­ge Pro­duk­te und Dienst­leis­tun­gen zu schaf­fen. Die­se wirt­schaft­li­che Per­spek­ti­ve ist nahe­lie­gend. Jedoch wer­den dabei die wert­vol­len Poten­zia­le loka­ler Gege­ben­hei­ten häu­fig über­se­hen und sozio­kul­tu­rel­le und gesell­schaft­li­che Fak­to­ren wenig berücksichtigt.

Its the eco­no­my, stu­pid! - Grund­la­gen für kul­tu­rel­le Eigen­heit und Identität

In einer zuneh­mend glo­ba­li­sier­ten Welt beob­ach­ten wir eine immer stär­ke­re Homo­ge­ni­sie­rung von All­tags­prak­ti­ken sowie deren Erschei­nungs­for­men, Arte­fak­ten und struk­tu­rel­len Hin­ter­grün­den. Ein Blick in die Geschich­te zeigt, dass regio­na­le und loka­le Iden­ti­tä­ten häu­fig aus kon­kre­ten wirt­schaft­li­chen Rea­li­tä­ten und natür­li­chen Gege­ben­hei­ten her­aus kon­sti­tu­iert wur­den – durch spe­zi­fisch For­men des Umgangs mit knap­pen Res­sour­cen, durch die Art und Wei­se, wie Nah­rung bereit­ge­stellt, Häu­ser gebaut und Klei­dung her­ge­stellt, Fra­gen der Ver­tei­lung gere­gelt und auf die­ser Basis kul­tu­rel­le Prak­ti­ken spe­zi­fi­ziert wur­den. Dies nimmt natür­lich nicht aus, dass die­se Prak­ti­ken und Iden­ti­tä­ten auch frag­wür­di­ge Struk­tu­ren und Macht und Herr­schaft ver­kör­per­ten und legi­ti­mier­ten. Was im 19. und frü­hen 20. Jahr­hun­dert zur Kon­struk­ti­on regio­na­ler und natio­na­ler Iden­ti­tä­ten über­zeich­net und ver­frem­det wur­de (z.B. Trach­ten­mo­de), hat­te in einer vor­mo­der­nen Ver­gan­gen­heit sehr prag­ma­ti­sche und das Zusam­men­le­ben struk­tu­rie­ren­de, öko­no­mi­sche Hintergründe.Die Regi­on Augs­burg, zum Bei­spiel, kann auf eine lan­ge Tra­di­ti­on im Tex­til­ge­wer­be zurück­bli­cken. Ihre Lage an Was­ser­läu­fen mach­te die Nut­zung von Was­ser­kraft als Ener­gie­quel­le maß­geb­lich. Auch vor dem Hin­ter­grund die­ser his­to­ri­schen Basis wird dort heu­te im Kon­text von zir­ku­lä­ren Stoff­kreis­läu­fen und Tex­til­fa­ser­re­cy­cling geforscht – etwa im Recy­cling Ate­lier der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Augs­burg und am Insti­tut für Tex­til­for­schung Augs­burg. Doch auch hier geht es nicht nur um tech­ni­sche Inno­va­ti­on. Die Fra­ge, wel­che Akteu­re in sol­che Kreis­lauf­wirt­schafts­pro­zes­se ein­ge­bun­den sind, wel­che neu­en Pro­zes­se und Struk­tu­ren erfor­der­lich sind und wie sich Gewohn­hei­ten, Teil­ha­be und Kom­pe­ten­zen rund um Ent­wick­lung, Pro­duk­ti­on und Nut­zung von Tex­ti­li­en neu orga­ni­siert wer­den kön­nen, muss eben­falls erforscht wer­den. Anfor­de­run­gen an tech­ni­sche Sys­te­me (u.a. digi­ta­le Infra­struk­tu­ren, KI, Mate­ri­al­for­schung) sind an der­ar­ti­gen Para­me­tern zu spe­zi­fi­zie­ren. Das dafür nöti­ge Wis­sen wird unter ande­rem im Mas­ter­pro­gramm „Trans­for­ma­ti­on Design“ sowie im Stu­di­en­gang Crea­ti­ve Engi­nee­ring an der TH Augs­burg ver­mit­telt, einem inter­dis­zi­pli­nä­ren Bache­lor-Pro­gramm, das in Koope­ra­ti­on zwi­schen den Fakul­tä­ten für Elek­tro­tech­nik und Gestal­tung ange­bo­ten wird.

Pro­to­ty­pen und Real­la­bo­re: Der geschütz­te Raum für Veränderung

Die­se Form des Arbei­tens, das Ver­net­zen unter­schied­lichs­ter Fak­to­ren und Akteu­re auf neu­ar­ti­ge Wei­se, das Erken­nen von Mus­tern zukunfts­fä­hi­ger und weni­ger zukunfts­fä­hi­ger Prak­ti­ken und Gewohn­hei­ten hat u.a. eine Grund­la­ge: den Ent­wurf und des­sen Arte­fak­te, z.B. unter­schied­lichs­te Pro­to­ty­pen. Sie agie­ren als inter­ven­tio­nis­ti­sche, dis­rup­ti­ve Ele­men­te, stel­len eta­blier­te Prak­ti­ken in Fra­ge, eröff­nen Poten­zia­le und Anknüp­fungs­punk­te für neu­ar­ti­ges Zuein­an­der von Akteu­ren und Res­sour­cen und struk­tu­rie­ren dis­zi­pli­nen­über­grei­fen­de Koope­ra­ti­on und Kol­la­bo­ra­ti­on. Und sie sind mehr als nur die Reprä­sen­ta­ti­on von oder Behäl­ter für ein­deu­ti­ger Bedeu­tun­gen oder tech­ni­scher Funk­tio­nen. Sie ver­kör­pern nicht nur fer­ti­ge (Teil-)Lösungen, son­dern auch das, was wir nicht wis­sen, das Neue, das in einem koope­ra­ti­ven Pro­zess zuta­ge geför­dert wird.

Und sie benö­ti­gen einen Hin­ter­grund, in dem die­se Expe­ri­men­te in siche­rem Rah­men durch­ge­führt wer­den kön­nen. Die aner­kann­te und im Kon­text von Trans­for­ma­ti­ons­for­schung und Kli­ma­re­si­li­enz häu­fig ange­wen­de­te Metho­de der Real­la­bo­re bie­ten einen geschütz­ten Raum für die Ent­wick­lung und Erpro­bung neu­er Ideen. Die­se expe­ri­men­tel­len Umfel­der ermög­li­chen, ähn­lich wie wir es aus Pulp Fic­tion gelernt haben, ver­schie­de­ne Prak­ti­ken par­al­lel neben­ein­an­der zu unter­su­chen. Hier geht es nicht dar­um, die fina­le bes­te Ein­zel­lö­sung zu ent­wi­ckeln, son­dern ver­ste­ti­gens­wer­te Aspek­te durch einen per­ma­nen­ten Vor­gang des Expe­ri­men­tie­rens, des Moni­to­rings unter Eva­lua­ti­on expli­zit zu machen, in einen Aus­tausch zu tre­ten, zu adap­tie­ren und wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Die­se „geschütz­ten Räu­me“ sind wich­tig, weil sie die Mög­lich­keit bie­ten, ohne die unmit­tel­ba­re Not­wen­dig­keit der Markt­an­pas­sung zu experimentieren.

Wert loka­ler Besonderheiten

Statt auf abs­trak­te, all­ge­mei­ne Model­le zu set­zen, muss kon­kret und lokal expe­ri­men­tiert wer­den, um zu ver­ste­hen, wel­che Ver­än­de­rungs­pro­zes­se auf ver­schie­de­nen Ebe­nen ange­sto­ßen wer­den. Das Ziel ist es, zu zei­gen, dass loka­le Beson­der­hei­ten nicht nur unver­zicht­bar sind, son­dern dass sie in Aspek­ten und abge­wan­del­ter Form auch welt­weit über­tra­gen und ska­liert wer­den kön­nen. Dies bedeu­tet nicht nur, dass neue Tech­no­lo­gien ent­wi­ckelt wer­den, son­dern auch, dass sozio­kul­tu­rel­le und volks­wirt­schaft­li­che Zusam­men­hän­ge als Gegen­stän­de von Gestal­tung und Trans­for­ma­ti­on ange­se­hen wer­den müssen.

Ange­wand­te Forschung

Im Beson­de­ren für Hoch­schu­len für ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten bie­tet die­ser lokal-glo­ba­le Ansatz nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung unter dem Kon­text von Kreis­lauf­wirt­schaft weit­rei­chen­de Tätig­keits­fel­der. Die pro­jekt­ba­sier­te For­schung und Ent­wick­lung rund um die beschrie­be­nen loka­len Mikro­fak­to­ren erfor­dert kon­kre­te tech­ni­sche Ent­wick­lung, sys­te­mi­sche Vor­ge­hens­wei­sen, expe­ri­men­tel­les, inter­ven­tio­nis­ti­sches Arbei­ten, sowie koope­ra­ti­ve und par­ti­zi­pa­ti­ve Pro­zes­se unter Ein­be­zie­hung loka­ler Akteu­re aus Poli­tik, Wirt­schaft und Zivil­ge­sell­schaft. Die­ser Ansatz klingt zunächst idea­lis­tisch. Um ihn erfolg­reich umzu­set­zen, müs­sen meh­re­re Aspek­te berück­sich­tigt werden:

  1. Eine über­ge­ord­ne­te gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Über­ein­kunft, die der­ar­ti­ge trans­for­ma­ti­ve Ansät­ze fö Ange­sichts der Unsi­cher­heit glo­ba­ler Lie­fer­ket­ten und des zuneh­men­den welt­wei­ten Pro­tek­tio­nis­mus lie­gen die Argu­men­te auf der Hand.
  2. Das Vor­han­den­sein geschütz­ter, labor­ähn­li­cher Räu­me, in denen loka­le Ansät­ze getes­tet und gege­be­nen­falls ska­liert wer­den kö Hier ist das For­mat der Real­la­bo­re sehr geeignet.
  3. Ein Bekennt­nis zur Rea­li­sie­rung spe­ku­la­ti­ver Ansät­ze, deren Rele­vanz nicht in unmit­tel­ba­rer Markt­fä­hig­keit besteht, son­dern in der vari­an­ten­rei­chen, teils par­al­le­len, kon­kur­rie­ren­den oder sich gegen­sei­tig ergän­zen­den Aus­for­mu­lie­rung und Über­prü­fung der Zukunfts­fä­hig­keit von Konzepten.

Ein sol­cher Ansatz erfor­dert sowohl ein Ver­ständ­nis jener regio­na­ler Beson­der­hei­ten als auch die Aner­ken­nung par­al­lel exis­tie­ren­der Kul­tu­ren des Wirtschaftens.

Wirt­schaft­li­che Per­spek­ti­ven und Souveränität

Vor dem Hin­ter­grund eines anhal­ten­den inter­na­tio­na­len Wett­be­werbs um Tech­no­lo­gie­vor­herr­schaft und Markt­füh­rer­schaft bie­tet die­ser Ansatz meh­re­re Per­spek­ti­ven. Zunächst stellt sich eine wich­ti­ge Fra­ge: Springt man als Tritt­brett­fah­rer auf jeden Trend auf und ver­sucht das zu machen, was alle machen, nur eben ein biss­chen bes­ser, ein biss­chen bil­li­ger, ein biss­chen kon­kur­renz­fä­hi­ger? Oder agiert man aus einer sou­ve­rä­nen Posi­ti­on der Stär­ke her­aus und ist in der Lage, eige­ne Schwer­punk­te und Allein­stel­lungs­merk­ma­le zu ent­wi­ckeln und in die­sem Dis­kurs als aktiv agie­ren­der, und nicht nur als reagie­ren­der Akteur auf­zu­tre­ten? Ein der­ar­ti­ges expe­ri­men­tel­les, induk­ti­ves und ver­netz­tes Vor­ge­hen hat das Poten­zi­al, in einem grö­ße­ren Kon­text all­ge­mein gül­ti­ge Stan­dards im Sin­ne eines offe­nen Sys­tems, dyna­misch und zu defi­nie­ren und neu ein­zu­stel­len. Eine Spiel­art per­ma­nen­ter, agi­ler Entwicklung.

Glo­ba­le Perspektiven

Was wird der zukünf­ti­ge Gegen­stand welt­wei­ten Han­dels und nach­hal­ti­ger Wert­schöp­fung sein? Was fun­diert – frei nach Adam Smith – eine neue Form von „Wohl­stand der Natio­nen“? Es ist das Wis­sen um ori­gi­nä­re Pro­zes­se und Prak­ti­ken des loka­len, zir­ku­lä­ren Wirt­schaf­tens sowie deren Aus­tausch, u.a. adap­tier­ba­re und ska­lier­ba­re Blau­pau­sen für smar­te regio­na­le Ver­net­zun­gen von Wert­schöp­fungs­fak­to­ren vor dem Hin­ter­grund einer Kreis­lauf­wirt­schaft. Und es sind glo­ba­le Koope­ra­ti­on und Arbeits­tei­lung bei der Schaf­fung der­ar­ti­ger Lösun­gen für ange­pass­te regio­na­le Res­sour­cen- und Energiewirtschaft.

Fazit

Abschlie­ßend möch­te ich noch ein­mal auf „Pulp Fic­tion“ zurück­kom­men. Das Wort „pulp“ bezeich­ne­te in den 30er Jah­ren das bil­li­ge, aus Res­ten zusam­men­ge­misch­te Papier, auf dem Gro­schen­ro­ma­ne gedruckt wur­den. Die Tat­sa­che, dass im Namen des Films das Abbil­den­de bzw. die Mate­ria­li­tät des Medi­ums pro­mi­nent und titel­ge­bend auf­tritt und damit auch noch aktu­el­le Zugän­ge betreffs (Textil)Recycling und Cir­cu­lar Eco­no­my vor­weg­nimmt, ist bezeich­nend. Im Mit­tel­punkt der aktu­el­len Her­aus­for­de­run­gen, denen sich Design­for­schung und Trans­for­ma­ti­ons­de­sign stel­len müs­sen, steht das Rekom­bi­nie­ren und neu ver­letz­ten unter­schied­lichs­ter Fak­to­ren, das Erken­nen und Bestä­ti­gen zukunfts­fä­hi­ger Pro­zes­se und Prak­ti­ken sowie das zurück­wei­sen von Stra­te­gien, die nicht im Sin­ne wün­schens­wer­ter Zukunft sind. Expe­ri­men­tel­le Ent­wurfs- und Gestal­tungs­pro­zes­se sowie deren Arte­fak­te und Pro­to­ty­pen haben die Funk­ti­on von Dis­rup­t­o­ren, um unhin­ter­frag­te Eigen­schaf­ten eta­blier­ter Vor­ge­hens­wei­sen und Pro­zes­se auf­zu­zei­gen sowie neu­ar­ti­ge Per­spek­ti­ven und mate­ri­el­le Grund­la­gen erfahr­bar und eva­lu­ier­bar zu machen. Ange­sichts des aktu­el­len welt­wei­ten Trends zu dis­rup­ti­ven Stra­te­gien bei der teil­wei­se frag­wür­di­gen Ver­än­de­rung poli­ti­scher, wirt­schaft­li­cher und gesell­schaft­li­cher Zustän­de möch­te ich dafür plä­die­ren, statt ganz­heit­li­chem, grund­stür­zen­dem und ideo­lo­gisch gepräg­tem Wan­del zu for­cie­ren, den Fokus auf Mikro­fak­to­ren und loka­len Beson­der­hei­ten scharf zu stel­len und der­ar­ti­ge Ver­än­de­rung in einem siche­ren, nach­hal­ti­gen und wis­sen­schaft­lich fun­dier­ten Rah­men anzu­schie­ben. Es ist nahe­lie­gend, dass der­ar­ti­ge Stra­te­gien der Gestal­tung von Zukunft auch auf poli­ti­scher Ebe­ne ein demo­kra­ti­sches, auf Teil­ha­be basie­ren­des Mit­ein­an­der zwin­gend erfor­dern. Dies sind Auf­ga­ben, die der Design­for­schung und aktu­ell noch nicht mas­sen­kom­pa­ti­blen Nerd-Hal­tun­gen einen brei­ten Tätig­keits­raum öffnen.

Der Frei­staat Bay­ern mit sei­ner lan­gen Geschich­te als Inno­va­tions- und Tech­no­lo­gie­stand­ort hat alle Vor­aus­set­zun­gen, um beim The­ma Cir­cu­lar Eco­no­my aus regio­na­len Beson­der­hei­ten her­aus glo­ba­le Maß­stä­be zu set­zen und die­se Pra­xis als Kern der eige­nen Iden­ti­tät wei­ter aus­zu­bau­en. Design­for­schung und Trans­for­ma­ti­ons­de­sign die­nen dabei nicht nur als klas­si­scher Inno­va­ti­ons­mo­tor, son­dern auch als Kata­ly­sa­tor für kul­tu­rel­le und gesell­schaft­li­che Veränderungen.

Zitier­emp­feh­lung: Hel­ge Oder: Design­for­schung und Trans­for­ma­ti­on (18.03.2025): https://bayern-design.de/beitrag/designforschung-und-transformation/

Portrait von Helge Oder vor weißem Grund
Hel­ge Oder

Prof. Dr. Hel­ge Oder ist gelern­ter Gold­schmied, stu­dier­te Pro­dukt­de­sign an der HTW Dres­den und pro­mo­vier­te in die­ser Fach­rich­tung an der Bau­haus-Uni­ver­si­tät Wei­mar. In Rah­men sei­ner gestal­te­ri­schen und wis­sen­schaft­li­chen Tätig­keit erforscht er die Rele­vanz und Allein­stel­lung des Ent­wer­fens in koope­ra­ti­ven Inno­va­tions- und Ent­wick­lungs­pro­zes­sen. In Zusam­men­ar­beit mit For­schungs­in­sti­tu­ten (z.B. Fraun­ho­fer-Gesell­schaft) und KMU führt er hier­zu u.a. expe­ri­men­tel­le F&E‑Projekte durch. Seit dem Win­ter­se­mes­ter 2022/23 ist er Pro­fes­sor im Lehr­ge­biet „Gestal­tung – Pro­dukt – Wir­kung“ an der Fakul­tät für Gestal­tung der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Augsburg.