Das waren die Social Design Days 2024
Recap
Social Design hat viele Gesichter
Bunt, spannend, vollgepackt – das war die zweite Ausgabe unserer Social Design Days Nürnberg. In Workshops, einem Jam und Talks haben wir uns vom 7. bis 9. Oktober mit Social Design in all seinen Facetten auseinandergesetzt. Im Mittelpunkt stand dabei unser Jahresmotto „better together“ und die Frage danach wie wir mit Social Design den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken können. Social Design haben wir dabei als einen spannenden Ansatz erlebt, die eigene Bubble zu verlassen und eingerostete Routinen aufzubrechen, um so eine lebenswerte Welt von morgen zu gestalten.
Symposium: Kann Social Design zu mehr Selbstwirksamkeit beitragen?
Herzstück der Social Design Days war unser Symposium im Neuen Museum Nürnberg: Zwei Panels, ein Dutzend Speaker:innen, zahlreiche Perspektiven – aus der Soziologie, aus der Gründungsberatung, aus der Wirtschaft und natürlich aus der Architektur und dem Design. So unterschiedlich wie die Herangehensweisen doch sein mögen, so eindeutig war der Befund des Tages: Gemeinschaften funktionieren gerade dann gut, wenn allen die Möglichkeit gegeben ist, die eigene Selbstwirksamkeit zu spüren. Was das heißt? Aus der Psychologie weiß man, dass Menschen große Befriedigung daraus ziehen, wenn sich ihr Handeln unmittelbar auf die Gegenwart auswirkt; z.B. dann, wenn man etwas mit den eigenen Händen schafft und damit seine Kompetenzen bestätigt sieht.
„Demokratie stärken, heißt Demokratie zu praktizieren“ – Jörg Sommer
Die Kombination aus Motivation, Resilienz und positiver Einstellung macht Selbstwirksamkeit zu einem entscheidenden Faktor für den persönlichen Erfolg und trägt damit zur Stärkung einer Gemeinschaft bei. Bezogen auf unsere Demokratie heißt das, so sieht es der Soziologe Jörg Sommer, dass in der Erfahrung von Selbstwirksamkeit Chancen liegen, unsere demokratischen Systeme zu stärken. Je stärker die positive Erfahrung, desto besser das Verhältnis zu demokratischen Prozessen und die Bereitschaft zum konstruktiven Diskurs. Erleichtert z.b. Social Design die Teilhabe an der Demokratie, stärkt man sie dadurch auch. Sommer vergleicht das mit dem Sport, denn erst regelmäßiges Training, macht fit für Wettkampf. „Wenn viele Menschen die Chance haben die Demokratie zu trainieren“, so Sommer, wird sie stark. Und Trainingsmöglichkeiten gibt es überall – in der Familie, der Schule, in Behörden und in der Wirtschaft.
Social Design in der Praxis
Die bessere Gestaltung von Prozessen ist beispielsweise auch ein Anliegen von Addis Mulugeta, der den Welcome Desk der IHK Nürnberg betreut. Er berichtete von den bürokratischen Hürden, die seine Klient:innen – Fachkräfte aus dem Ausland – bei ihrem Start in Deutschland zu bezwingen hätten. Die Verfahren sind komplex und nicht selten geben Fachkräfte dann auf, wenn sie von dem Procedere frustriert sind. Was kann man also machen, um ihnen den Start zu erleichtern? Einfachere Prozesse, neue Angebote zur Integration – etwa durch Sprachkurse – und vor allem eines: Beschleunigung.
Der Begriff der Selbstwirksamkeit taucht auch bei Sabine Lewandowski auf: Sie ist Gründerin und hat mit ihrer Familie in Franken das Naturkosmetik-Label „Mari&Anne“ aufgebaut. Im Mittelpunkt des Unternehmens steht ihre ältere Schwester Marina: Sie hilft mit beim Verpacken, gestaltet Karten und wirbt auf Social Media für ihre Produkte. Marina ist mit Downsyndrom auf die Welt gekommen und hat durch die Mitarbeit im Unternehmen ganz neue Möglichkeiten sich weiterzuentwickeln, zu lernen und eben auch die Wirksamkeit des eignen Tuns zu erfahren.
Übrigens: Wer derartige Erfahrungen selbst sammelt, ist eher dazu bereit auch anderen solche Möglichkeiten zur Verwirklichung einzugestehen. Das berichtet zum Beispiel Simona Leyzerovich, die in Nürnberg das Café Bleiweiß betreibt, einem sozialen Treffpunkt für das ganze Quartier. Simona ist Designerin, hat Spaß an der visuellen Gestaltung ihres Betriebs. Hierfür bindet sie zum Beispiel auch die Arbeiten von den Bewohner:innen eines Seniorenheims ein, die die künstlerischen Angebote des Hauses wahrnehmen. Im Alltagsgeschäft kann sie sich ganz auf ihr Team verlassen, denn sie überlässt weite Handlungsspieleräume, was die Motivation erhöht. Identifikation mit der Gemeinschaft fängt im Kleinen an.
„Demokratie und Gemeinschaft sind nie fertig“ – Armin Nassehi
Armin Nassehi, renommierter Soziologe und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München sieht im Social Design eine Chance, die Routinen von sozialen Gemeinschaften aufzubrechen, um Veränderungen zu ermöglichen. Eingefahrene Routinen sind bequem, stehen aber auch dem eigenen Vorankommen im Weg. Nassehi erläutert das Dilemma am Beispiel der Mobilität: Man weiß, dass z. B. das innerdeutsche Flüge ökologisch fragwürdig sind, legt seine Termine aber dann so, dass es ohne dieses Verkehrsmittel nicht geht. Damit steht die Routine dem besseren Wissen im Weg. Doch wie gelingt der Ausbruch aus dem Verhaltensmuster? Die Situation ist auch auf die Gemeinschaft zu übertragen: Gesellschaftliche Veränderungen funktionieren nicht von jetzt auf gleich, sondern sind Ergebnis behutsamer Anpassungen bestehender Routinen. Transformation sollte nicht disruptiv, sondern, evolutionär geschehen. Sprich: Innovatives Design muss evolutionäre Elemente anstreben, aber es muss eben ins Gewohnte passen. Damit heißt Social Design für Nassehi, gesellschaftliche Strukturen als Prozesse zu verstehen, an denen man ständig gestalten kann, ohne jedoch diese stören oder gänzlich zu stoppen. Hält man sich an diese Prämissen, ist Scheitern ausgeschlossen, denn jedes Handeln geht mit einem Lerneffekt einher und erinnert uns daran, dass Demokratie und Gemeinschaft nie fertig sind.
„Man kann Plakate designen. Aber keine Demokraten. Und doch kann Design ganz entscheidend dazu beitragen, unsere Demokratie zu stärken. Denn Social Design, gedacht als Beitrag zum „better together“ ist vor allem eines: Das Design demokratischer Prozesse“ – Jörg Sommer
Design Jam
Ein Design Jam funktioniert wie eine Musiksession: Jede:r bringt sich mit seinen:ihren Fähigkeiten ein, am Ende kommt eine Melodie heraus. Warum also dieses Konzept nicht einmal auf soziale Herausforderungen anwenden? Im Sommer haben wir per Ausschreiben relevante Fragestellungen gesucht, die es sich zum Ziel machten, unser soziales Miteinander zu verbessern. Unter zahlreichen Einsendungen hatten wir uns entschieden für zwei spannende Themen:
- Andrea Carl von der Paritätischen Bayern/Bezirksverband Mittelfranken stellte die Frage, wie wir die Innenstadt besser als Begegnungsraum nutzen und Anlässe und Räume schaffen können, die Menschen aus unterschiedlichen Bubbles in den Austausch bringen.
- Lukas Heckl, Student an der OTH Regensburg, fragte, wie es gelingen kann, dass Radfahrer und Autofahrer friedlich in den Austausch miteinander kommen können.
Gefragt, getan: In interdisziplinären Gruppen – jede:r konnte mitmachen – haben wir uns diesen Aufgaben angenommen. Bedürfnisanalyse, qualitative Interviews, konzentrierte Atmosphäre – am Ende des Jams konnten unsere Teams ganz konkrete Antworten anbieten. So könnte etwa ein „Bedürfnismobiliar“ für die Innenstadt, Menschen in ihren alltäglichen Bedürfnissen ansprechen und Platz zum Lesen, zum Austausch oder einfach zum Erholen anbieten. Auch die Wartezeit am Bahnsteig könnte genutzt werden, in dem die großen Infoscreens zur sozialen Interaktion per App verwendet werden. Über einen QR-Code könnte man die Screens fortan dazu nutzen, sich gegenseitig mit seiner Lebenserfahrung weiterzuhelfen. Bemerkenswert ist auch der Vorschlag mit dem die Situation im Straßenverkehr verbessert werden soll: Der „Mobilitätsschein“ setzt auf einen Perspektivwechsel, um Verständnis für einander zu entwickeln. Statt dem klassischen Führerschein für ein Kraftfahrzeug, könnte dieser neue Schein dazu beitragen, sich auch mit den Bedürfnissen von anderen Verkehrsteilnehmenden wie etwa Radfahrende oder Personal von öffentlichen Verkehrsmitteln auseinanderzusetzen. Allesamt Ideen mit Potenzial, um das Zusammenleben noch stärker zu machen.
Unsere Kooperation mit dem Designverein und der TH Nürnberg
Designverein
Im größeren Rahmen des städtischen Projekts Zukunftsmusik berichtete Felix Egle, bei strömenden Regen unter dem Dach des leerstehenden Kaufhofs in der Nürnberger Innenstadt, in seinem Vortrag aus seiner Tätigkeit im Social Design. So gestaltete er mit dem Kiosk of Solidarity Workshops, bei denen Bewohner:innen von Geflüchtetenunterkünften ihre Anforderungen und Wünsche an ein adäquates Lebensumfeld sichtbar machten. Anschließend bauten sie Stadtmöbel, um bestehende Räume umzunutzen. Felix erzählte in der Fragerunde auch offen, wie man Fördergelder akquiriert und unterschiedliche Stakeholder:innen an einen Tisch holt. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit dem Designverein und der Fakultät Design der TH Nürnberg durchgeführt.
Die Social Design Days 2024 hatten viele Gesichter. Wir sagen danke!
Wir danken all denjenigen, die mit zu den Social Design Days beigetragen haben: Moritz Ahlert, Amelie Baumer, Dorothee Brommer, Felix Egle, Nicolas Eichholz, Lena Endres, Sandra Engelhardt, Simone Engelhardt, Delia Evers, Lars Harmsen, Cornelia von Hardenberg, Markus Lange, Sabine Lewandowski, Simona Leyzerovich, Wolf Maser, Addis Mulugeta, Armin Nassehi, Jeannie Schneider, Ramona Sprenger, Jörg Sommer und den Teilnehmer:innen des Social Design Jams, die aktiv mitgestaltet haben.
Wir danken unseren Partnern und Förderern: Der IHK Nürnberg für Mittelfranken, der Wirtschaftsförderung der Stadt Nürnberg, dem Neuen Museum Nürnberg, dem Designverein, Urban LAB und unserem Medienpartner dem Stadtmagazin CURT.
Die Social Design Days 2024 wurden von bayern design organisiert: Christian Fayek, Sebastian Schnellbögl und Verena Westernacher haben die Veranstaltung möglich gemacht.
Das Graphic Recording der Veranstaltung stammt von Marie Gutmann.